Auch Nobelpreisträger können ordentlich danebenliegen. Vor allem dann, wenn sie den wissenschaftlichen Boden verlassen und ihre Strahlkraft in der Politik einsetzen wollen. Paul Krugman zählt zu dieser Gattung: Der US-Starökonom glaubt, das finanzielle Perpetuum mobile erfunden zu haben und fordert regelmäßig neue Ausgabenprogramme, um die Konjunktur zu stabilisieren.

Washington zeigt viel Sympathie für diese Linie. Barack Obama schrieb im Vorfeld des Treffens der 20 größten Industrie- und Schwellenländer einen Brief an seine Amtskollegen, in denen er vor einem zu raschen Ausstieg aus den Konjunkturprogrammen warnte und exportorientierte Staaten aufforderte, mehr für die Belebung der Binnennachfrage zu tun. Hauptadressat der Botschaft war Europa, genauer gesagt Deutschland. Berlin möge gefälligst mehr Geld in die Wirtschaft pumpen, anstatt Sparpakete zu schnüren, so die zwischen den Zeilen zu lesende Aufforderung.

Davor war Krugman noch deutlicher geworden. Um markige Sprüche nie verlegen, zog er Parallelen zwischen Angela Merkel und Heinrich Brüning, "der von 1930-32 Kanzler war und dessen finanzpolitische Orthodoxie die Weimarer Republik in den Abgrund führte".

Eine ziemliche Verdrehung der Tatsachen: Wenn es derzeit einen Hauptgrund dafür gibt, dass die Wirtschaft nicht in die Gänge kommt, ist es die Angst vor der Schuldenkrise und ihren Folgen. Die ist nicht ganz unbegründet, wie der Fall Griechenland zeigt. Ein Staatsbankrott hätte die Kreditgeber des Landes mit in die Tiefe gerissen. Als Zombie-banken gelten heute weniger solche mit giftigen Immobilienpapieren in den Büchern als vielmehr jene mit satten Staatsanleihebeständen von hochverschuldeten Staaten. Die Realwirtschaft wird von derartigen Entwicklungen unmittelbar erfasst, Unternehmen vernachlässigen aus Unsicherheit Investitionen, Konsumenten geben weniger aus.

Die Schulden sind somit die Ursache des drohenden Rückfalls in die Rezession, des vielzitierten Double Dips, den Krugman so vehement mit höheren Staatsausgaben verhindern möchte. Zwar ist völlig klar, dass die nun anlaufende Sparwelle die Konjunktur belasten wird, doch ohne Befreiung von der Gefahr Staatsfinanzen wird die Wirtschaft nicht wieder auf die Beine kommen. Krugman sollte bei Gelegenheit seine Kollegen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart befragen. Sie haben auf Basis historischer Finanzkrisen errechnet, dass das Wachstum ab einer Verschuldung von 90 Prozent des BIPs um einen Prozentpunkt sinkt. Zum Vergleich: Die größten Industriestaaten marschieren zielstrebig auf einen Wert von 118 Prozent zu, dessen Erreichen der Währungsfonds in vier Jahren erwartet.

Gerade den USA stünde es gut an, sich wieder etwas mehr mit den eigenen Schwächen zu beschäftigen, anstatt Ratschläge zu erteilen. Zwar verläuft ihr Aufschwung weit robuster als in Europa, doch sind die Strukturprobleme mindestens gleich groß wie diesseits des Atlantiks: Dank immer neuer Stimuli haben die USA bei Budgetdefizit und Verschuldung die EU überholt, von der privaten Kreditblase und dem Loch in der Handelsbilanz ganz zu schweigen.

Krugman und Obama haben offenbar verdrängt, dass die US-Defizite mit den Devisenreserven der von ihnen verteufelten Überschussländer - allen voran China - gestopft werden. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 23.6.2010)