Sowohl in Europas Schuldenkrise als auch beim bevorstehenden G20-Gipfel in Toronto rücken die Banken wieder ins Zentrum der Debatte. Das Vertrauen untereinander ist nach wie vor oder schon wieder dahin, der Interbankenmarkt alles andere als stabil. Bankenabgabe, Regulierung der Finanzmärkte und Stresstests dominieren die Diskussion.
Der Wiener Wirtschaftswissenschafter Gerhard Sorger erklärt im derStandard.at-Interview, warum es ohne den Interbankenmarkt nicht geht, die Veröffentlichung der Stresstests sinnvoll ist, und was das alles mit Flugsimulationen zu tun hat.
derStandard.at: Ein britischer Banker sagte unlängst: "Den Preis dafür, das Bankensystem sicherer und stabiler zu machen, trägt unvermeidbar die Realwirtschaft." Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann meinte beim Wiener Bankengipfel, weltweit seien 9,7 Millionen Arbeitsplätze in Gefahr, würden die Vorschläge zur Bankenregulierung umgesetzt. Ist das reine Panikmache oder steckt da mehr als nur ein Körnchen Wahrheit drin?
Gerhard Sorger: Ich glaube, es ist nicht die ganze Wahrheit. Es gibt ja auch verschiedene Methoden, das Bankensystem sicherer und stabiler zu machen. Und wenn man das geschickt angeht, glaube ich eigentlich nicht, dass es so schlimm wäre, wie es Herr Ackermann schildert. Bei der derzeitigen Diskussion geht es vor allem darum, dass der Interbankenmarkt nicht gut funktioniert. Die spanischen Banken können sich auf diesem Markt beispielsweise kein Geld mehr ausleihen. Das ist ein Vertrauensproblem. Und dieses Vertrauensproblem hat seine Wurzeln darin, dass nicht alle gleich gut informiert sind. Die spanischen Banken selber wissen sicher besser, wie ihre Bilanzen ausschauen, als andere Banken, die auch auf diesem Markt Liquidität anbieten. Die werden das Geld aber bestimmt nicht einer Bank geben, bei der sie nicht sicher sind, ob sie es zurückbekommen.
derStandard.at: Wird die Veröffentlichung der Banken-Stresstests das Vertrauen zurückbringen?
Sorger: Mit der Veröffentlichung der Stresstests versucht man diese Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen. Ein Stresstest ist vergleichbar mit einem Flugsimulator: Da spielt man gewisse Situationen durch, die es in der Realität gegeben hat – ein Flugzeug will am Flughafen von Kuala Lumpur landen, bei Gewitter und Westwind und einer gewissen Geschwindigkeit. Dann schaut man, ob man das schafft. Genauso funktionieren die Stresstests für die Banken. Man simuliert Szenarien, wie zum Beispiel Änderungen in Zinsen, Aktien- oder Währungskursen, eine weltweite Rezession oder den Ausfall gewisser Kredite und sieht sich die Auswirkungen auf die Bilanzen bestimmter Banken an.
derStandard.at: Wieso sträubten sich die Banken zumindest vorerst so gegen die Veröffentlichung der Daten aus den Stresstests?
Sorger: Weil für eine Bank, die wirklich schlecht da steht, und die das bisher nur geheim gehalten hat, der Absturz wahrscheinlich schneller kommen würde. Aber nachdem gerade die spanischen Banken eingefordert haben, die Stresstests zu veröffentlichen, nehme ich an, die wissen, dass sie besser dastehen als die anderen glauben.
derStandard.at: Wäre es nicht generell gescheiter, wenn man schon im Vorhinein wüsste, wem es schlecht geht?
Sorger: Ja, wenn das im Vorhinein klar wäre, dass derartige Kennzahlen veröffentlicht werden, hat keine Bank mehr einen Anreiz dazu, die Daten zu verheimlichen, weil alles ohnehin rasch ans Tageslicht käme.
derStandard.at: Es gibt auch Vorschläge, Stresstests anonym zu veröffentlichen, also ohne die Namen der konkreten Banken zu nennen. Halten Sie das für sinnvoll?
Sorger: Das würde auch schon etwas bringen, weil sich die Wahrscheinlichkeiten verschieben. Wenn jetzt gar nichts bekannt ist, dann könnte man annehmen, dass zum Beispiel die Hälfte der Banken marod ist, die anderen sind nicht gefährdet. Veröffentlicht man nun anonymisierte Daten und sagt, zwei Banken geht‘s nicht so gut, aber bei 95 Prozent der überprüften Banken schaut es gut aus, dann haben sich die Wahrscheinlichkeiten verschoben. Dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Ausfallsrisikos, wenn ich einer Bank etwas leihe, in diesem Beispiel schon nicht mehr so hoch.
derStandard.at: Wie funktioniert die Risikobewertung am Interbankenmarkt?
Sorger: Hier wird mit standardisierten Risikomanagement-Methoden gearbeitet, wie zum Beispiel dem Value at Risk, mit dem man versucht abzuschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine wie große Katastrophe eintreten kann. Es ist aber eigentlich kein sehr günstiges Maß. Der Value at Risk wird von vielen Seiten kritisiert, weil seine Verwendung Anreize setzt, möglichst große Desaster mit geringer Wahrscheinlichkeit herbeizuführen.
derStandard.at: Was sind die Alternativen zum Value at Risk?
Sorger: Welche in der Praxis verwendet werden, kann ich nicht sagen. Es dauert, bis neue Methoden akzeptiert und standardisiert werden. Man muss auf jeden Fall davon wegkommen, Einzelrisiken zu bewerten. Vielen Ökonomen wurde in den letzten Jahren vorgeworfen, dass sie Modelle basteln, in denen Unabhängigkeitsannahmen getroffen werden, dass also ein Risiko unabhängig von einem anderen ist. Im Jahr 2008 trafen dann plötzlich mehrere Risiken zu gleich ein, das war aber in keinem Modell abgebildet. Da muss man die Modelle abändern. Auch die Banken-Stresstests gehen in diese Richtung. Da laufen viele Risiken parallel ab, man geht also weg von einzelnen Parameteränderungen hin zu einem Makrostresstest, wo eine ganze Rezession simuliert und deren Auswirkungen auf den Sektor beobachtet werden.
derStandard.at: Ist die Angst der Banken vor der Veröffentlichung der Daten also doch legitim?
Sorger: Die Szenarien, die man durchspielt, sollten auf jeden Fall realistisch sein. Beim Flugsimulator wird man auch nicht einstellen, dass schlechtes Wetter ist, die Triebwerke ausfallen, und gleichzeitig ein Erdbeben die Landebahn wegreißt. Bei den Stresstests werden zum Beispiel historische Szenarien hergenommen, und man schaut: Wie hätte mein Portfolio, meine Bank, der Sektor auf die Russlandkrise 1998 oder auf den 11. September 2001 reagiert? Irgendwelche obskure Szenarien werden nichts bringen.
Weiter zu Teil 2: Geht's auch ohne Interbankenmarkt?
derStandard.at: Welche Rolle spielt die EZB in der Stabilisierung des Interbankenmarkts?
Sorger: Für die EZB ist das Ganze schon kritisch. Wenn die EZB Geldpolitik betreiben will, läuft das sehr stark über den Interbankenmarkt. Die Zentralbank nimmt Liquidität aus dem Markt oder bringt sie wieder rein. Das läuft über einige ausgewählte große Banken, die dann wiederum auf dem Interbankenmarkt diese Zusatzliquidität von der EZB wieder anbieten können oder aufnehmen müssen. Der Interbankenmarkt ist also der erste Markt, der von geldpolitischen Maßnahmen direkt betroffen ist. Wenn der nicht gut funktioniert, verliert auch die EZB ihre Kontrolle über die Wirtschaft, in erster Linie über die Kreditzinsen. Das ist massiv nach dem Lehman-Crash passiert, als der Interbankenmarkt fast völlig zum Erliegen gekommen ist. Da hatten die Kreditzinsen mit dem Leitzins der EZB gar nichts mehr zu tun.
derStandard.at: Ohne Interbankenmarkt geht es also gar nicht?
Sorger: Die Banken nutzen den Markt ja vor allem dafür, kurzfristig Liquidität zu handeln. Bekommt eine Bank zum Beispiel im Tagesgeschäft mehr Einzahlungen als sie Auszahlungen hat, legt sie diese Überschussliquidität typischerweise am Interbankenmarkt an. Würde der Interbankenmarkt also komplett austrocknen, und sich Banken darüber nicht mehr Liquidität verschaffen können, müssten sie andere, weniger liquide Aktivposten aus ihrer Bilanz verkaufen. Das geht erstens nicht so schnell. Zweitens führt das oft dazu, dass sie diese Aktivposten zu Preisen verkaufen müssten, die unter dem eigentlichen Wert liegen. Das führt zu Abschreibungen, Liquiditätsproblemen und kann auch in die Nähe von Insolvenzen führen.
derStandard.at: Die mit der "Systemrelevanz" von Banken begründeten staatlichen Bankenhilfsprogramme garantierten also auch den Fortbestand des Interbankenmarktes?
Sorger: Einerseits unterstützt man das System dadurch. Auf lange Sicht gesehen erreicht man aber unter Umständen genau das Gegenteil. Wenn man das nämlich regelmäßig macht, ist es so, dass jeder sieht: Okay, die Staaten übernehmen einer Versicherungsfunktion für den Bankensektor, die Banken können machen was sie wollen, sie werden eh immer von den Staaten gerettet. Das wiederum erzeugt ein anders gelagertes Informationsproblem, weil der Staat ja nicht so genau kontrollieren kann, was die Banken machen, auch wenn er sie rettet. Es kommt zum so genannten "Moral-Hazard-Problem", wenn die Banken wissen, Gewinn stecken wir ein, Verluste trägt ohnehin der Staat. Das erzeugt sehr ungute Anreize.
derStandard.at: Müsste man diese "Systemrelevanz" nicht ausschließlich an das Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken binden?
Sorger: Das ist auch der Grund, warum Geschäftsbanken- und Investmentbankensektor in den USA getrennt war. Jetzt ist das ja nicht mehr so. Es wird aber wieder angedacht, da eine Trennung zu vollziehen und nur mehr jene Banken zu unterstützen oder zu retten, die vorwiegend oder ausschließlich im üblichen Bankengeschäft tätig sind, also Einlagen entgegennehmen und Kredite vergeben. Dass man diese Funktion instand hält, aber Investmentbanking oder Hedgefonds ausnimmt. Dadurch, dass aber gerade in den USA viele Banken in beiden Bereichen unterwegs waren, war das schwierig.
derStandard.at: Da sind wir dann auch bei der momentanen Debatte um Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer, also wie die Banken für die Krise bezahlen sollen. Sind das die richtigen Lehren, dass man die Banken im Vorhinein zur Kasse bittet?
Sorger: Die Finanztransaktionssteuer halte ich für gerechtfertigt. Da kann man entweder die Gewinne aus solchen Geschäften besteuern, oder die Transaktionen selber. Das halte ich für einen gerechtfertigten Ansatz, wenn es global eingeführt und mit einem geringen Steuersatz versehen wird.
derStandard.at: Sind Sie auch der Meinung, dass es eine globale Steuer sein muss, es keinen europäischen Alleingang geben soll?
Sorger: Ja. Es geht dabei nicht so sehr um die Wettbewerbsnachteile. Aber die Finanzmärkte sind so stark international vernetzt, dass es immer Wege geben wird, die Steuern zu umgehen. Dann bringt es nichts. Um einen Effekt zu erzielen, müsste man schon versuchen, das Instrument Transaktionssteuer global einzusetzen. Ich denke aber nicht, dass es so schnell gehen wird.
Die Bankenabgabe ist quasi eine Haftpflichtversicherung für Banken. Sie müssen schon im Vorhinein einzahlen, damit im Schadensfall aus diesem Topf etwas gut gemacht werden kann. Die Frage bleibt offen, wie das umgesetzt werden soll. Wie werden diese Mittel angelegt? Wer veranlagt die Mittel aus der Bankenabgabe? Welche Anlageformen werden gewählt? Die praktische Umsetzung ist noch nicht klar – ein Urteil kann man sich erst dann bilden.
derStandard.at: Nach Lehman wurde ja vieles versprochen, wie man zukünftigen Krisen entgegensteuern will, was alles reguliert werden soll. Nun kommt das Ganze mit einer zweijährigen Verspätung zumindest ein wenig in Gang. Wie viel Regulierung braucht man, um Krisen zu verhindern bzw. kann man Krisen überhaupt verhindern?
Sorger: Alle Krisen wird man nie verhindern können. Aber man kann zum Beispiel Informationsprobleme beseitigen, indem man regulative Maßnahmen einführt, die diese Informationen liefern. Oder indem man Anreize in die richtige Richtung setzt. Ein Problem im Bankensektor ist zum Beispiel, dass sehr kurzfristige Planungen gemacht werden. Da müsste man verstärkt Instrumente einführen können, die mehr die langfristige Sicht in den Vordergrund stellen. Wenn man zum Beispiel an die Bonuszahlungen denkt: Die sollten nicht am Jahresgewinn festgemacht, sondern an längerfristige Erfolgszahlen geknüpft werden.
derStandard.at: Glauben Sie, dass das aus den Banken selber kommen kann, oder braucht man dafür ein Regulativ?
Sorger: Das werden die Banken von sich aus wahrscheinlich eher nicht machen, glaube ich. (Daniela Rom, derStandard.at, 24.6.2010)