Der Streit zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem deutschen Regierungschef über den deutschen Beitrag zum Wachstum, der derzeit zwischen Barack Obama und Angela Merkel tobt, ist so alt wie der durchschnittliche derStandard.at-User.

Schon beim G7-Gipfel (damals hieß es noch so) im Juli 1977 in London, also vor 33 Jahren, bestürmte der damalige US-Präsident Jimmy Carter Bundeskanzler Helmut Schmidt, er solle doch das Konjunktur ankurbeln und so sein Land zur "Lokomotive" für die Weltwirtschaft machen. Schmidt folgte zeitweise, doch als die Inflation anzog, ohne dass viele neue Jobs entstanden, stiegen die Deutschen wieder voll auf die Bremse.

Die böse Erfahrung von damals, verstärkt durch die Verachtung, die Schmidt für den wankelmütigen Carter verspürte, ist für das Verständnis der heutigen deutschen Position mindestens so wichtig wie das Inflationstrauma der zwanziger Jahre.

Seither wiederholt sich dieses Drama alle paar Jahre: Da die Weltwirtschaft schwächelt, kurbeln die Amerikaner mit niedrigen Zinsen und  hohen Budgetdefiziten die Konjunktur an und fordern von den Europäern, sprich von den Deutschen, das gleiche. Diese wehren sich, verweisen auf Inflationsgefahren und Verschuldung und lassen sich in ihrem rigorosen Stabilitätskurs nicht beirren.

Am Ende kommt die Weltwirtschaft wieder in Schwung, wenn auch langsamer als erhofft, während das Wachstum in Europa nachhinkt. Erst später wird auch Europa vom Aufschwung erfasst – oft zu einem Zeitpunkt, an dem die nächste Krise bereits bevorsteht.

Vergessen wir nicht: Der größte Börsenkrach aller Zeiten, der schwarze Freitag vom 19. Oktober 1987, wurde durch öffentliche Kritik des damaligen US-Finanzministers James Baker an der Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank ausgelöst.

Die Zinsen werden inzwischen nicht mehr von der Deutschen Bundesbank, sondern von der Europäischen Zentralbank bestimmt, aber aus US-Sicht ist das einerlei. Die EZB ist ideologisch „germanisiert“, und die Deutschen haben dort starken Einfluss.

Zwei Fragen muss man angesichts der heftigen Kritik amerikanischer Ökonomen und Politiker an der deutschen Haltung, die mein Kollege Andreas Schnauder ebenso beherzt zurückweist, fragen: Vernachlässigt Deutschland seine weltwirtschaftliche Verantwortung? Und schadet sich Deutschland durch sein Festhalten an klassischer, vor-keynesianischer Wirtschaftspolitik letztlich selbst?

Auf die erste Frage lautet die klare Antwort, wie ich selbst schon mehrmals geschrieben habe: Ja. Die strukturellen Leistungsbilanzüberschüsse  der Deutschen zwingen andere Staaten zu Defiziten und tragen dadurch entscheidend zu den Schuldenproblemen bei, unter denen die Welt heute leidet. Das eigene Sparen nützt nichts, um diese Spannungen zu verringern – im Gegenteil.

Aber im gleichen Atemzug muss gesagt werden, dass auch die USA als weltwirtschaftlicher Schmarotzer agieren. Ja, dank der Konsumgier ihrer Bürger sind der Verbrauchermarkt der letzten Instanz, wo alle ihre Exporte abliefern können, aber durch ihre gewaltigen Defizite und geringe Sparquote sie fressen auch einen Großteil des verfügbaren Kapitals auf.

Deutschland und die USA kümmern sich beide zu wenig um die globalen Folgen ihrer Wirtschaftspolitik und ihrer ökonomischen Mentalität. Eine engere Abstimmung der beiden würde nützen, aber bei diesen Fragen hat die Chemie zwischen Washington und Bonn/Berlin noch nie gestimmt.

Die interessante Frage ist die zweite: Wenn man bedenkt, wie unterschiedlich zwei der führenden Industriestaaten der Welt in wirtschaftlicher Hinsicht ticken, wer ist eigentlich besser dran? Wo leben die Menschen in größerem Wohlstand, in mehr finanzieller Sicherheit, mit einem stärkeren Wohlergehen?

Beim Pro-Kopfeinkommen sind die USA voran, (46.600  Dollar gegenüber 34.100 Dollar) aber hauptsächlich deshalb, weil das gesamtdeutsche BIP durch den armen Osten heruntergezogen wird. Und der Durchschnittsamerikaner muss für vieles bezahlen, was der Deutsche gratis oder fast gratis erhält – von Gesundheit bis zu den Schulen. Mit 50.000 Dollar Jahreseinkommen ist das Leben in den USA in den meisten Fällen prekärer und schwieriger als in Deutschland. Und das Einkommen ist ungleicher verteilt.

Die Arbeitslosigkeit war in Deutschland bis vor kurzem viel höher als in den USA (und wird es wohl auch nach Ende der Krise wieder werden). Dafür muss ein amerikanischer Arbeiter viel mehr um seinen Job fürchten als ein Deutscher, und auch vor den Folgen der Arbeitslosigkeit. Dafür findet selbst ein 60-jähriger Amerikaner noch einen Job; einem deutschen Angestellten über 45 droht Arbeitslosigkeit bis zur Pensionierung.

Konsumgüter vom Auto bis zum Flachbildschirm sind in den USA viel günstiger, die meisten privaten Dienstleistungen dafür teurer – und die öffentlichen Dienstleistungen schlecht. Was ist eine bessere Grundlage für ein schönes Leben: Zwei große Autos mit Garage oder einen Autobus vor der Tür, der regelmäßig fährt und sauber ist?

Meine gleichaltrigen amerikanischen Freunde mit Kindern unter 16 sind zumeist dazu gezwungen, ihren Nachwuchs ständig herumzuchauffieren. Das heißt, dass ein Elternteil (sprich die Frau) zu Hause bleiben muss.

Vor allem Kinder kommen Familien teuer – die Kosten für Schulen, Universitäten und selbst Sommerlager haben das Potenzial, Mittelstandsfamilien in den Ruin zu treiben.

Wohnen kann billiger sein, außer man möchte in oder in der Nähe einer Großstadt mit all ihren kulturellen Angeboten und dennoch in Sicherheit leben. Dann wird der Wohnraum plötzlich sehr, sehr kostspielig.

Die USA sind die erfolgreicheren Innovatoren, die deutschen die besseren Produzenten. Die Amerikaner sitzen auf riesigen Schulden, die Deutschen auf Ersparnissen, die sie allerdings nicht gleichzeitig sicher und rentabel anlegen können. Sie müssen ihr Geld den Defizitländern verborgen, die das regelmäßig verlieren. Das deutsche Exportwunder ist in Wirklichkeit eine Dauersubvention für andere Völker, die lieber konsumieren als arbeiten.

Wie zukunftsfähig sind die beiden Wirtschaftsmodelle? Den Deutschen droht früher oder später der Kollaps des Pensionssystems (den Amerikanern auch, aber viel später), dafür ist der amerikanische Raubbau und Umwelt und Raubbau ausgeprägter.

Die Entscheidung, welches Land auf dem langfristig besseren Kurs ist, fällt auch mir schwer. Gerade die unterschiedlichen Stärken und Schwächen bieten viel Munition für zukünftige Streitigkeiten. Die Obama-Merkel-Show ist sicher nicht der letzte Akt.