Der britische (konservative) Ministerpräsident Harold Macmillan wurde einmal von einem Jungpolitiker gefragt, was denn das Schwierigste am Regieren sei? „Events, my dear boy, events“, sagte Macmillan. Das gilt auch für die so lange so erfolgreiche deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

Wird am G-20-Gipfeltreffen in Toronto, bei dem die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer einen neuen Anlauf zur Regulierung der Finanzmärkte nehmen sollen, Deutschland durch eine „Trümmerfrau“ vertreten, die vor den Scherben ihrer Kanzlerschaft steht? So bezeichnete kürzlich das Nachrichtenmagazin Spiegel in einer vernichtenden Titelgeschichte die einst „mächtigste Frau der Welt“, deren dramatischer Autoritätsverlust seit der Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen die politische Szene in Deutschland immer stärker prägt. Nach knapp acht Monaten der schwarz-gelben Koalitionsregierung sei sie orientierungslos und handlungsunfähig, ihr Machtwort habe keine Autorität, heißt es in den deutschen Medien.

Der liberale Koalitionspartner FDP, geleitet von einem zur Witzfigur degradierten Vizekanzler und Außenminister Westerwelle sackte nach 14,7 Prozent bei der Bundestagswahl auf 5 Prozent bei den letzten Umfragen ab. Das 80- Milliarden-Euro-Sparpaket stößt auf Widerstand, der Konflikt unter den Koalitionspartnern eskaliert, der Rückzug des mächtigen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ist ein Warnzeichen und der abrupte Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler zusammen mit den Spannungen in der Regierung lassen bereits eine „Endzeitstimmung“ aufkommen. Das wichtigste, allerdings von der Kanzlerin enttäuschte Mitglied der Regierung, Finanzminister Schäuble versicherte kürzlich zwar, die Substanz der Regierung sei besser als der Eindruck in der Öffentlichkeit. Doch geht es natürlich um viel mehr als die von ihm angemahnte „Verbesserung des Erscheinungsbildes“.

Es stehen Merkel (und Schäuble) nicht nur viele Kämpfe um den Staatshaushalt und um die Zukunft der Währungsunion bevor. Die größte Gefahr droht Merkel und ihrer zerstrittenen Regierung am Tag der Bundespräsidentenwahl, am 30. Juni. Nach der Schockwirkung des Rücktritts des beleidigten und seinerzeit von ihr „erfundenen“ Bundespräsidenten haben die Sozialdemokraten und die Grünen mit der Nominierung des allseits angesehenen Stasi-Aufklärers Joachim Gauck eine taktische Meisterleistung vollbracht. Dazu kam noch die Fehlkalkulation Merkels statt der populären Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wegen des Widerstands der konservativen CDU-CSU-Kreise den farblosen Christian Wulff, den Regierungschef von Niedersachsen als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu nominieren.

Es geht bei dieser Wahl in der Bundesversammlung nicht nur um das höchste Amt im Staat, sondern auch um den Erhalt der Koalition und um Merkels Kanzlerschaft. Würde Wulff trotz einer klaren Mehrheit der Koalitionsparteien scheitern, wäre die Kanzlerin kaum noch zu halten. Oder wird sie doch die Kraft für einen Neuanfang haben und den Autoren der voreiligen Nachrufe einen Strich durch die Rechnung machen? (Paul Lendvai, DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2010)