Vor ein paar Wochen hat Mesut Özil noch ganz leise, fast zittrig und öffentlich nahezu gar nicht gesprochen. Sein Opa kam einst aus der Türkei als Gastarbeiter und blieb, der nun 21-jährige Mesut wurde in Deutschland geboren. Er ist also ein Kind der dritten Generation. Der zarte Bursch mit dem strammen linken Fuß, den Werder Bremen kaum halten können wird, war natürlich schon 21 Jahre vor seinem Tor gegen Ghana angekommen, nur für die Krone wäre er vielleicht jetzt erst "ein echter Deutscher".
Das leise Reden haben sie ihm im Schnellsiedeverfahren abgewöhnt. Der deutsche Fußballbund weiß, was er dem Land schuldet: Özils feste Stimme. Irgendetwas muss aber im Kurs schiefgelaufen sein. Denn der Instinktkicker spricht jetzt zwar laut und fest, aber es klingt geschwollen, unnatürlich, brav, aufgesetzt. Also sagte er nach dem 1:0-Sieg im perfekten Schriftdeutsch, da war wirklich kein "Äh" dabei, man hörte die Satzzeichen: "Es hat mich gewurmt, dass ich in der ersten Halbzeit eine Chance vergeben habe. Aber ich wusste, ich werde ein Tor machen. Schön, dass es in der 60. Minute geklappt hat. Ich habe den Ball angenommen, sah, dass kein Gegner vor mir war, und habe draufgehauen. Das erste Turniertor ist besonders schön. Wir haben im Achtelfinale keine Angst vor England. Rufen wir alles ab, können wir sie schlagen."
Argentinien hat Lionel Messi, Deutschland hat Özil. Sagt Horst Hrubesch, der deutsche Nachwuchstrainer, der seinen Messi von diversen Auswahlteams her kennt. "Wir neigen gerne dazu, von ausländischen Spielern zu schwärmen. Wir loben Rooney in den Himmel, Ronaldo oder Messi. Aber den Messi haben wir selber. Unser Messi ist Özil. Der ist auch so ein Jahrhunderttalent." Özil ist ein Zehner, der aber die Nummer acht trägt. Messi ist ein Zehner mit der Nummer zehn. Ein bisserl Unterschied muss sein.
Die Deutschen haben gegen Ghana äußerst mäßig gespielt. Bundestrainer Joachim Löw gestand ein, "dass vieles nicht geklappt hat". Es war ein Match, das keinen Sieger verdient hätte, aber zwei gebracht hat. So ungerecht kann der Fußball sein. Deutschland gewann Spiel und Gruppe, Ghana blieb als Zweiter in der WM, das Land soll nun ganz Afrika stolz machen. Nach bisher gezeigten Leistungen könnte im Achtelfinale am Samstag gegen die USA Endstation sein.
Deutschland erinnert in Südafrika an eine Schulklasse auf Landschulwoche oder auf Landschulmonat. Lehrer Löw führt Özil, Müller (20), Badstuber (20) namentlich an, betont, wie jung die Mannschaft sei, dass sie lernen und Erfahrungen sammeln müsse. Man dürfe von ihr nicht erwarten, dass sie in der Lage sei, alle Situationen zu meistern. "Gegen Ghana war der Druck groß, schlussendlich haben sie ihn weggesteckt und den Rückschlag des 0:1 gegen Serbien verkraftet. Es ist gut für junge Menschen, durch ein Stahlbad zu gehen."
Löw befasste sich logischerweise mit England, betonte, wie erfahren diese Mannschaft sei, führte die Großväter Gerrard, Lampard und Rooney an. "Ein Rooney kann immer explodieren. Das wird eine Klassepartie, eine Schlacht, dieses Match lebt schon allein von der Geschichte." Sollte es zum Elferschießen kommen, gewinnt übrigens Deutschland.
Englands Teamchef Fabio Capello hatte seine Männer vor dem Spiel gegen Slowenien auf ein Bier eingeladen. Soll heißen: Jeder hat eines bekommen, es waren 23 Biere. Man hat sich ausgesprochen, versöhnt, Slowenien wurde nach ebenfalls mäßiger Leistung 1:0 besiegt. Löw hätte seinen Buben Himbeerwasser spendiert. Rein theoretisch, die Deutschen streiten ja nicht.
Vielleicht war der Gruppensieg ein Eigentor - England statt USA. Im Viertelfinale wartet der Sieger aus Argentinien gegen Mexiko, Alternative wäre jener aus Uruguay gegen Südkorea gewesen. Özil wird am Sonntag ab 16 Uhr in Bloemfontein dribbeln. Fraglich ist, ob sich der Oberschenkelmuskel von Bastian Schweinsteiger bis dahin enthärtet hat. Klassenvorstand Löw sagt: "Wir werden einiges lernen." (Christian Hackl aus Johannesburg, DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 25. Juni 2010)