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Nicolas Sarkozy will, dass Frankreichs Eliteschulen 30 Prozent Stipendiaten aufnehmen.

Foto: epa/Bruno Bebert

Nicolas Sarkozy ist vieles, aber nicht elitär. Das zeigt sich auch bei seiner Bildungspolitik. Anfang dieses Jahres verlangte er aus heiterem Himmel, dass die 440 Eliteschulen des Landes künftig 30 Prozent Stipendiaten namentlich aus den sozial benachteiligten Vorstädten und Immigrantenvierteln aufnehmen sollten. Das wäre eine Revolution für ein Land, wo der Zugang zu den "grandes écoles" statistisch gesehen vor allem vom Einkommen und Ausbildungsniveau der Eltern abhängt.

Der Einwanderersohn Sarkozy will das nun ändern. "Ein Land, das nur ein Zehntel seiner Bevölkerung zur höchsten Auswahl beizieht, beraubt sich neun Zehntel seiner Intelligenz" , meinte er, als er im Jänner den Vorstoß mit 30 Prozent Stipendiaten machte. Allerdings verzichtet er darauf, das verbindlich festzulegen. Das liefe auf eine "Banlieue-Quote" hinaus, und Sarkozy war schon immer gegen jede Form von positiver Diskriminierung.

Auch kritisieren viele Pädagogen, dass Sarkozy den Eliteschulen bis 2012 Zeit gibt. "Warum nicht 20 Prozent bis 2011?" , fragen sie, befürchtend, dass der Vorstoß in zwei Jahren längst vergessen sein wird. Trotzdem: Die Debatte ist lanciert. Der Verband der französischen Eliteschulen CGE lehnt Sarkozys Vorstoß ab. 30 Prozent Stipendiaten aufzunehmen erfordere eine Senkung der Aufnahmekriterien - und damit des Ausbildungsniveaus, monierte CGE-Chef Pierre Tapie.

Für dieses Querlegen muss er harte Kritik einstecken. "Der Widerstand der ,grandes écoles‘ ist unwürdig" , überschrieben der Chef des Konzerns PPR, François Pinault, und der ebenso einflussreiche Politberater Alain Minc einen entrüsteten Gastbeitrag in Le Monde. Das bisherige Concours-Verfahren der großen Schulen - neben ENA auch etwa Polytechnique, Essec, HEC oder École normale supérieure - sei "selbstmörderisch" , schreiben sie darin.

Mit einem Argument liegt der Eliteschulverband aber nicht ganz daneben: Er weigert sich, Sündenbock für die blockierten Aufstiegschancen des gesamten Bildungssystems zu spielen. In Frankreich greift die soziale Selektion schon im Vorschulalter, das die begüterten Sprösslinge in privaten Eta-blissements absolvieren. Die Grande Nation legt zwar rhetorisch großen Wert auf die "égalité" , doch sind die Kaderschmieden der Nation mit bloß zehn Prozent Arbeiterkindern selbst der Gegenbeweis der harten Wirklichkeit.

Mit 200.000 Vertretern bieten die Eliteschulen den Freipass zu einer Spitzenkarriere, während die 1,5 Millionen Studenten der normalen Massenuniversität häufig auf ihren Diplomen sitzenbleiben und sich beim Arbeitsamt einschreiben. Gemäß einer Studie haben 68 Prozent Topmanager der im Börsenindex Cac 40 notierten Unternehmen eine Eliteschule durchlaufen. In den politischen und Verwaltungs-Chefetagen dominieren die Absolventen der berühmt-berüchtigten Beamtenschmiede ENA (École Nationale d'Administration).

Auch Sarkozy macht in seinem Kabinett keine Ausnahme davon. Sein Vorschlag mit den 30 Prozent Stipendiaten dürfte deshalb kaum vollständig umgesetzt werden.

Besser als diese versteckte, staatlich verordnete Förderung scheint das Vorgehen der Pariser Politkaderschmiede "Sciences Po" . Deren Vorsteher, Richard Descoings, hat spezielle und konkrete Auswahlverfahren eingeführt, dank derer in den letzten zehn Jahren immerhin etwas mehr als 600 Vorstadtjugendliche aufgenommen werden konnten. Auch hat er einen "Master of Public Affairs" eingeführt, für den sich nicht nur die Absolventen der "cours préparatoires" (Vorstufe zu den Eliteschulen), sondern auch "normale" Studenten einschreiben können. Descoings durchbricht das gut geölte Elitesystem damit wirkungsvoller, als es Sarkozy mit seinem Vorschlag vorhat. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.6.2010)