Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) auf Ideensuche in einer schwedischen Schule. Die vom ÖAAB-Chef später präsentierte "Aufstiegsschule" hat er von dieser Reise nicht mitgebracht.

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Die Schule der Zukunft liegt in Håbo bei Stockholm und ist, wie in Schweden landesweit üblich, eine Gesamtschule für Schüler bis zum neunten Schuljahr. Nicht ganz so üblich ist ihr Programm: "Kein Schüler ist wie der andere - jeder muss individuell gefördert werden" , sagt Hans Ahlenius, Mitbegründer und Projektleiter der Futurum-Schule, die seit zehn Jahren entsprechend dem schwedischen Konzept "Schule 2000" das Ziel verfolgt, Schüler besser auf die Zukunft vorzubereiten.

Soziale Kompetenz und Eigenverantwortung fürs Lernen sind die Schlüsselworte in dem Konzept der "kleinen in der großen Schule" : In der Futurum-Schule mit rund 1000 Schülern bewohnen Gruppen von jeweils rund 160 Schülern verschiedener Altersstufen zusammen mit 16 Lehrern ein Lernhaus, in dem um einen großen, hellen Gemeinschaftsraum verschiedene kleinere Lernräume gruppiert sind. Der Lehrer am Pult vor der Klasse - das gibt es kaum noch in der kommunalen Schule, in die Kinder aller sozialen Schichten und auch mit zum Teil schwerwiegenden Lernproblemen gehen. Die Schüler erstellen persönliche Arbeitspläne und führen ihr persönliches "Logbuch" , das von den Lehrern regelmäßig ausgewertet wird; jeder Schüler hat einen Mentor aus der Lehrerschaft, der ihn bis zum Ende der Schule begleitet.

Wer einfach einmal Ruhe braucht, der kann in der Pentry in der Mitte des Gemeinschaftsraums ein Cola köpfen oder sich in einen der kleineren Räume zurückziehen. Wer voranpreschen will, wird ermutigt; wer nicht hinterherkommt, kann sich in einem Sonder-Lernstudio bei Spezialpädagogen Hilfe holen. "Ich habe gelernt, selbstständig zu arbeiten, und der Zusammenhalt mit den Schulkameraden über alle Jahre hinweg hat mir Sicherheit gegeben" , sagt die Neuntklässlerin Kristin Hökerberg. "Ich würde meine Schule allen empfehlen."

Eine Schule, die Chancengleichheit bietet und den Einzelnen fördert, die Schwächsten mitnimmt und die Begabtesten nicht auf Mittelmaß zurückstutzt - das wünscht sich Metta Fjelkner, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft Lärarnas Riksförbund, für die schwedische Schule insgesamt.

Doch Wunsch und Realität sind nicht dasselbe. Zwar fühlt sich das Gros der Schüler in der Schule wohl. Dass der Begriff Schule in Schweden selbst heute gleichwohl vorwiegend negativ besetzt ist, resultiert laut Lehrerverband vor allem aus zwei Reformen vom Anfang der 1990er-Jahre: Damals trat der Staat die Verantwortung für die Schule an die vielfach vom Sparzwang beherrschten Kommunen ab, und es wurde möglich, in freier Trägerschaft Schulen mit öffentlichen Mitteln zu betreiben. Im Ergebnis entstand eines der weltweit am stärksten dezentralisierten Schulsysteme, das durchaus eine Vielzahl erfreulicher "Inseln" aufweist, insgesamt aber enttäuscht: So zementiert die Schule laut einem aktuellen Bericht des Zentralen Schulamtes zunehmend das Bildungsgefälle zwischen sozialen Gewinnern und Verlierern. In den Pisa-Studien ist Schweden in den vergangenen Jahren stetig abgesackt.

Die Zensurenvergabe erst ab der achten Klasse erschwert das Messen realer Leistung und unterläuft das hehre Ziel, jedem die Chance auf ein Studium zu geben - 2009 verließ ein Viertel aller Schüler die an die Grundschule anschließende dreijährige Gymnasialschule ohne Abschluss und somit ohne nennenswerte Chance auf dem Arbeitsmarkt.

Die Probleme der Schule spiegeln sich im gesunkenen Status des Lehrerberufs wider: Auf einen Studienplatz kommen nur 1,4 Bewerber; 17 Prozent der Lehrer in kommunalen und gar 50 Prozent der Lehrer in freien Gymnasialschulen verfügen über keine adäquate Ausbildung. Seit ihrem Antritt 2006 hat die bürgerliche Regierung eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um Schwedens Schule wieder zu einer Stätte zielgerichteten Lernens zu machen. So wurden landesweite Leistungstests in den ersten Schuljahren eingeführt, auf längere Sicht sollen nur noch ausgebildete Lehrer unterrichten. (Anne Rentzsch/DER STANDARD, 26.6.2010)