Grafik: STANDARD

Auf den ersten Blick sieht das Urteil der Österreicher über unser Schulsystem gar nicht so schlecht aus: 47 Prozent halten es für gleich gut wie das anderer EU-Länder, 13 Prozent für besser. Besonders jene, die selbst noch in Ausbildung stehen oder Schule und Studium erst in den letzten Jahren abgeschlossen haben, geben der österreichischen Schule gute Noten - die schlechteste Einschätzung kommt von jenen, deren Ausbildung schon mehr als 25 Jahre zurückliegt. Im EU-Vergleich stehen unsere Schulen also gut da, auch wenn 28 Prozent sagen, dass es anderswo besser wäre.

Bei näherem Nachfragen zerbröselt das Bild von der guten Schule aber.

der Standard ließ 500 repräsentativ ausgewählte Menschen über 16 durch das Linzer Market-Institut fragen: "Wird heute an den Schulen im Wesentlichen die richtige Bildung vermittelt, oder werden wesentliche Bildungsziele vernachlässigt?" Und da kommt es dick: 63 Prozent sagen, dass wesentliche Bildungsziele vernachlässigt würden, nur 26 Prozent meinen, dass an den Schulen die richtige Bildung vermittelt würde. Eltern mit schulpflichtigen Kindern im Haushalt urteilen zwar etwas milder, sind aber auch mehrheitlich der Meinung, dass Wesentliches vernachlässigt würde.

Was das sein könnte, wurde von Market in einer Liste abgefragt:

  • 65 Prozent meinen, dass an unseren Schulen mehr Wert auf Naturwissenschaften und Technik gelegt werden sollte - wobei den konkreten Schulfächern, die die Grundlagen vermitteln sollen, deutlich weniger Gewicht gegeben wird. Nur 45 Prozent würden der Physik mehr Raum geben (43 Prozent sagen, darauf solle weniger Wert gelegt werden), bei der Chemie sind sogar nur 41 Prozent für eine Ausweitung, aber 47 für einen geringeren Wert. Auffallend ist, dass die Chemie besonders von den Schülern und Studenten selbst besonders schlechte Noten bekommt. Biologie und Umweltkunde erfreuen sich dagegen hoher Wertschätzung: 71 Prozent meinen, die Schule sollte da mehr vermitteln, jedem vierten Befragten ist es schon zu viel.
  • Einen Spitzenplatz im Bildungskanon nehmen Informatik und Computer ein: 91 Prozent sind für eine Aufwertung dieses Wissensgebietes. Die zugrunde liegende Mathematik interessiert schon etwas weniger: 80Prozent wünschen sie aufgewertet, 16Prozent meinen, man käme mit weniger Mathematik auch durch. Auch hier sind es wieder die Schüler und Studenten, die besonders matheskeptisch sind. Wirtschaftskunde wird von 74 Prozent für besonders wichtig gehalten - und hier sind die noch in Ausbildung stehenden Befragten wieder besonders dabei.
  • Der Komplex der Sprachausbildung wurde sehr differenziert abgefragt: Absoluter Spitzenreiter mit 92 Prozent, die mehr Wert darauf legen würden, sind die internationalen Sprachen wie Englisch, Französisch oder Spanisch. In scharfem Kontrast dazu steht die Einschätzung der Sprachen unserer östlichen Nachbarländer: Auf Tschechisch, Ungarisch oder Slowenisch würden 46 Prozent eher weniger Wert legen, nur 44 Prozent würden diese Sprachen aufwerten. Noch schlechter steht es um die eher als exotisch angesehenen Sprachen Japanisch, Chinesisch und Arabisch sowie die alten Sprachen Latein und Altgriechisch, die jeweils nur von elf Prozent für bedeutsam gehalten werden. Zum Vergleich: Die deutsche Sprache wollen 87 Prozent aufgewertet wissen.
  • Kunsterziehung (31 Prozent für Aufwertung, 56 Prozent für Abwertung), Religion und Ethik (34 Aufwertung, 58 Abwertung) und Philosophie (25:58) genießen offenbar wenig Ansehen. Dagegen wollen 65Prozent Politische Bildung und Geschichte aufwerten, 61 Prozent die Sexualkunde und 51 Prozent die Medienkunde.

Klar ist das Urteil, dass die Schule auf die Kinder zu wenig eingeht. Nur 18Prozent sagen, dass die meisten Talente gefördert werden, 79 Prozent meinen, dass viele Talente ungenutzt blieben.

Ob das mit falschen Schullaufbahnen zusammenhängt? Unter Vermeidung des polarisierenden Begriffs Gesamtschule ließ der Standard fragen, wann denn die erste wichtige Entscheidung der Schullaufbahn fallen sollte. Quer durch alle Bevölkerungsgruppen sagt nur jeder Zehnte, dass das mit zehn Jahren nach der Volksschule passieren sollte. 67 Prozent halten 14 Jahre für richtig, und 23 Prozent meinen, dass man erst mit 18, im Maturaalter, eine Entscheidung fällen sollte. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.Juni 2010)