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Der berühmteste Treffer der Fußballgeschichte: Geoff Hurst (nicht im Bild) erzielt im WM-Finale 1966 via Latte das legendäre "Wembley-Tor" zum 3:2 für England. Deutschlands Goalie Hans Tilkowski kann nur zuschauen. Mit 4:2 wird England zum ersten und bisher einzigen Mal Weltmeister.

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Oktopus Paul prophezeit Deutschland einen Sieg gegen England. Schon dreimal hat sich das Tierchen aus dem Sea Life-Aquarium zu Oberhausen für die richtige Wasserschüssel (+ in selbiger befindliche Muschel) entschieden. Auf diese Weise hat es die Siege gegen Ghana und Australien, aber auch die Niederlage gegen Serbien vorausgesagt.

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Vorbereitung auf Deutsch: Miroslav Klose (li.) und Philipp Lahm dehnen, was das Zeug hält.

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Vorbereitung auf Englisch: Steven Gerrard (li.) und Wayne Rooney können bezeugen, dass sie dehnen.

AP Photo/Kirsty Wigglesworth

Bloemfontein/Wien - Dass das eine Art vorgezogenes Finale sein könnte, was da am Sonntag in Bloemfontein über die Bühne gehen wird, davon spricht eh niemand. Am wenigsten die Trainer, Joachim Löw und Fabio Capello. Gleichwohl ist die Begegnung zwischen Deutschland und England von ziemlicher Brisanz. Alle, auch Löw und Capello, reden deshalb gerne von einem "Klassiker", und der englische Boulevard hat endlich etwas Ordentliches zum Schlagzeilen, ohne auf die Eigenen hinhauen zu müssen.

Jetzt kann diesbezüglich wieder in die Vollen gegriffen werden. "Job done", tat das etwa der Daily Mirror, "now For The Hun." Wer wissen wollte, wie das eventuell gemeint sein könnte, brauchte nur auf die Internetseite der Sun zu schauen. "German Warfare", wurde der Artikel überschrieben, in dem vom "old enemy" die Rede ging. Und selbst die Times stellte fest: "England ist rachedurstig."

Worauf der englische Frust fußt, ist schwer zu lokalisieren. Am differenziertesten ausgedrückt hat das wohl Gary Lineker. Zumindest wird ihm folgender Ausspruch zugeschrieben: "Football is a simple game: 22 men chase a ball for 90 minutes and at the end, the Germans win."

Dass das Ballnachjagen nicht immer so - sondern zuweilen sogar umgekehrt - enden muss, zeigte anschaulich der 30. Juni 1966 und somit das Londoner WM-Finale. Geoff Hursts Tor zum 3:2 ist bis heute das "Wembley-Tor", ein Lattenpendler, von dem auch 44 Jahre später nicht gesagt werden kann, ob er vor oder hinter der Torlinie gelandet ist. Dieses wohl legendärste Duell zwischen England und Deutschland endete schließlich 4:2 und brachte den Erfindern des Fußballs den einzigen WM-Titel der Geschichte. Ein Umstand, der die Insulaner nicht nur deshalb magerlt, weil der dreimalige Weltmeister Deutschland diesmal ja die Devise "Holt den vierten Stern" ausgegeben hat.

Das berühmte - in Deutschland: berüchtigte - Wembley-Tor fiel übrigens in der Verlängerung. Man braucht kein retrospektiver Prophet zu sein, um sagen zu können, dass das ein ziemliches Glück war für die Engländer. Schon zehn Jahre später wären in einer Verlängerung die englischen Nerven völlig blank gelegen. Denn zehn Jahre später gab es bereits das - horribile dictu: Elfmeterschießen.

Erfinder der Tragödie 

Erfunden wurde diese ballesterische Entscheidungsfindung vom heute 94-jährigen deutschen Schiedsrichter Karl Wald, dem der bis dahin gültige Losentscheid zuwider war. Erstmals bei einem großen Turnier zum Einsatz kam das Elferschießen 1976.

Man erinnert sich noch gerne. 20. Juni, Belgrad, Finale zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei. 2:2 nach der Verlängerung. Uli Hoeneß vergibt den vierten Elfer, Antonín Panenka schupft den fünften Ball ins Tor.

Was als deutscher Albtraum begann, mutierte bald zum englischen. Dreimal schon verabschiedete sich England im Elferschießen von einer WM - 1990 gegen Deutschland (auch bei der Heim-EM 1996 gab es gegen die Deutschen das Elfer-Aus), 1998 gegen Argentinien und schließlich 2006 gegen Portugal.

Klar, dass so eine Geschichte ein wenig nachhängt, zumal den englischen Goalies nicht unbedingt das Schmeichelhafteste nachgesagt wird. Weshalb David James - nach dem Auftakt-Fehlgriff von Robert Green ist der 39-Jährige wieder der Einser - im Hinblick auf diese Entscheidmöglichkeit ausruft: "Ich hoffe, dass wir das nicht erleben." Freilich habe man seit dem Viertelfinale 2006 dazugelernt: "Vor vier Jahren waren wir nicht gut genug über die Schützen informiert. Jetzt ist das anders. Wir wissen alles über die Deutschen."

Die aber klarerweise auch alles über die Engländer. Und wer diesbezüglich gemein sein möchte, kann sagen, dass das deutsche 1:0 von Mesut Özil gegen Ghana ein Übungs-Fernschuss war. Auf diese Weise ließe sich dann nämlich schon testen, ob Mr. James seinen Beinamen "Calamity" zu Recht trägt oder nicht.

Dem 21-jährigen Bremer Özil wird es wahrscheinlich auch ziemlich egal sein, dass der historische Rückblick - so peinlich er sich da und dort für die Engländer anfühlen mag - auch oder vor allem an den Deutschen kein gutes Haar lässt. In 31 Begegnungen gab es für Deutschland zehn Siege, sechs Remis und 15 Niederlagen. Das erste Spiel 1908 in Berlin endete mit 1:5. 100 Jahre später, bei der bislang letzten Begegnung ebenfalls in Berlin, gab es ein englisches 2:1.

Der deutsche Teamchef Joachim Löw spricht jedenfalls mit großem Respekt von der sonntägigen Aufgabe: "Auch wenn England bisher nicht die allerbeste Form gezeigt hat, diese Mannschaft ist mit hervorragenden Spielern besetzt. Unsere Abwehr wird vor eine große Aufgabe gestellt." Zumal er den Einsatz von Bastian Schweinsteiger und Jerome Boateng als "fraglich" ansieht.

Löws Kollege Fabio Capello will die 1:0-Slowenien-Erfahrung nach Bloemfontein mitnehmen: "Das war das England, das ich sehen wollte. Diese Leidenschaft, diesen Kampfgeist wollte ich haben." Die entsprechende Taktik hat er auch schon: "Sie dürfen Bier trinken vor dem Spiel - ihr könnt sie fragen."

Fehlen aus englischer Sicht eigentlich für den Fall des unglücklichen Falles nur noch die Elferschützen. Auf dem Londoner Boulevard raunt man sie sich schon zu: Frank Lampard, Steven Gerrard, Gareth Barry, Wayne Rooney und James Milner. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, Printausgabe, Samstag, 26. Juni 2010)