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"Meister unserer Träume" hieß es auf diesem Transparent italienischer Fans. Das Transparent ist im Ellis Park geblieben, der Meister fährt nach Hause.

Foto: AP/Amangue

Marcello Lippi hat Stil. Es war beeindruckend, wie der 62-Jährige am Donnerstagabend kurz vor halb sieben Uhr jenen fensterlosen Raum im Ellis Park, in dem die Pressekonferenzen nach den Spielen stattfinden, betreten hat. Sein 2:3 gegen die Slowakei war kaum 20 Minuten alt, ganz aufrecht ist er gegangen (Besen verschluckt?), er rückte den unbequemen Stuhl zurecht und ersuchte, vor der Fragerei ein Statement abgeben zu dürfen. Sein letztes als italienischer Teamchef.

Lippis Stimme klang rau und sanft zugleich, überhaupt nicht weinerlich, eher würdevoll und staatstragend. "Ich übernehme die volle Verantwortung. Die Mannschaft ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Sie war weder taktisch noch technisch noch psychisch präsent. Beine, Köpfe und die Herzen waren mit Schrecken erfüllt. Ich habe sie offenbar nicht richtig vorbereitet. Ich habe niemals gesagt, dass wir Weltmeister werden. Ich habe aber auch niemals gesagt, dass wir nach der Vorrunde ausscheiden. Es tut mir leid für die Fans. Entschuldigung. Und danke für alles."

Lippi hatte Italien 2006 in Deutschland zum vierten WM-Titel geführt. Und er hörte nach dem Höhepunkt logischerweise auf. Die verpatzte EURO 2008 in Österreich und in der Schweiz kostete Nachfolger Roberto Donadoni den Job, Pensionist Lippi wurde zum Comeback förmlich gezwungen. Die Qualifikation für Südafrika schaffte er relativ locker. Um zweimal 1:1 zu spielen (Paraguay und Neuseeland), um gegen die Slowakei zu verlieren und um souveräner Letzter der Gruppe F zu werden.

"Ritter der Schande, das schlechteste Italien aller Zeiten" , schrieben die Zeitungen am Tag danach. Cesare Prandelli (52, zuletzt Fiorentina) wird nun das Ruder übernehmen. Vielleicht ist die Aufgabe gar nicht so undankbar, denn selbst die Bezeichnung "Trümmerhaufen" passt nicht zur Squadra Azzurra. Ein Vakuum kann kein Haufen sein.

In Italien kursiert ein Witz: Warum hat Inter Mailand die Champions League gewonnen? Antwort: Weil kein Italiener mitgespielt hat. In Lippis Aufgebot stand folglich auch kein einziger Kicker vom Landesmeister.

Die Mannschaft ist völlig überaltert. Kapitän Fabio Cannavaro hatte bereits vor der WM den Rücktritt nach der WM angekündigt. Der 36-Jährige hätte ihn vorziehen sollen. Vor vier Jahren ist der Verteidiger noch zum besten Kicker der Welt gewählt worden. 2010 hat sich Juventus geweigert, den Vertrag zu verlängern, Cannavaro wechselt nun nach Dubai ins gut bezahlte Ausgedinge. Fürs Nationalteam reichte es trotzdem. Selbiges galt auch für andere Mittdreißiger, für den übergewichtigen Gennaro Gattuso, für Andrea Pirlo, dem wirklich nur die Vergangenheit gut steht. "Wir haben eine beschämende Figur abgegeben" , sagten die beiden.

Es war schon berauschend, wie ein Slowake mit einem einzigen Outeinwurf die komplette italienische Abwehr übertölpelt hat. In und um Rom werden Konsequenzen und ein Umdenken verlangt, Reformminister Roberto Calderoli tobte öffentlich: "In der Nationalmannschaft können nicht die Luxusmigranten des Sports spielen, sondern nur lächerliche Italiener mit wenig Kraft in den Beinen, denen Millionen gezahlt werden. Diese Blamage ist die logische Konsequenz einer verheerenden Sportpolitik, die keine jungen italienischen Talente fördert."

Und die Slowakei hat endlich ihr Córdoba. Vladimir Weiss, er ist 45 Jahre alt und somit der jüngste Teamchef bei dieser WM, erreichte im Kampf mit den eigenen Tränen ein schmeichelhaftes Unentschieden. Vom "zweitbesten Tag" seines Lebens hat er gesprochen. Die Geburt seines Sohns bleibt unangefochtener Spitzenreiter. Das Erfolgsrezept, so Weiss, sei simpel: "Ich glaube an die Spieler, die Spieler glauben an mich." An slowakische Journalisten soll Weiss nicht geglaubt haben, angeblich hat er einem vor einer Woche Prügel angedroht. "Das ist Vergangenheit und vergessen."

Der zweifache Torschütze Robert Vittek sah "die Grenzen des slowakischen Fußballs verschoben" . Am Montag geht es in Durban gegen die Niederlande um den Aufstieg ins Viertelfinale. Weiss: "Vielleicht wird das der neue zweitbeste Tag meines Lebens." Der Sohnemann hat also nichts zu befürchten.  (DER STANDARD PRINTAUSGABE 26.6. 2010)