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Kann eine automatische, gemeinsame Obsorge die Kooperation und Gesprächsbasis zwischen den getrennten PartnerInnen verbessern?

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Die Meinungen der beiden Ministerinnen zur automatischen Obsorge sind konträr.

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"Ich war in der Höhle des Löwen, ich saß zwischen den Feministinnen", eröffnete ein Vater die Pause nach der ersten Diskussionsrunde der parlamentarischen Obsorge-Enquete vergangenen Donnerstag. Diese Mitteilung war an andere Väter vor den BesucherInnenrängen im großen Plenarsaal gerichtet. Etwa eine Stunde vor der Enquete zum Thema "Konflikten konstruktiv begegnen - Aktuelle Herausforderungen im Familienrecht (Obsorge und Unterhalt)" versammelten sich rund zehn sozialistische Jugendliche und demonstrierten vor dem Parlament für "Halbe/Halbe", wie sie es benannten. Etwa 20 Minuten später stand an der gleichen Stelle ein Informationsstand von Väter-Vertretern. Diese verteilten Broschüren und informierten PassantInnen darüber, dass Väter in Österreich "erpresst, gedemütigt und erniedrigt" werden.

Der Pause vorrangegangen waren Statements von VertreterInnen der Parlamentsfraktionen wie auch den eingeladenen ExpertInnen. Die Fraktionen haben bereits Tage vor der Enquete ihre Positionen klar abgesteckt. Dass die gemeinsame Obsorge nicht beantragt werden muss, sondern automatisch und damit zum Normalfall wird, dieser Idee kann die Justizministerin Claudia Bandion-Ortner - ähnlich wie ihre ÖVP-KollegInnen - viel abgewinnen und ist auch Anlass der Enquete. Eine automatische Obsorge, so die Justizministerin, "wirkt deeskalierend und führt zur besseren Gesprächsbasis". Die Familienstaatssekretärin Christine Marek ließ zwar vor der Enquete wissen, dass "vieles zu diskutieren ist", war bei der Enquete aber nicht anwesend.

Positionen der Parlamentsfraktionen

Entgegen Bandion-Ortner zeigte sich Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek von der SPÖ skeptisch. "Automatismus ist nicht zielführend", stattdessen wünscht sie sich bessere Lösungen bei den Besuchszeiten. Eine Familienrechtsreform, so Heinisch-Hosek, ist generell erwünscht, diese soll aber auf die inzwischen vielfältigen Partnerschaftsmodelle eingehen. Auch innerhalb der Opposition gehen die Meinungen auseinander. Albert Steinhauser von den Grünen ist gegen eine automatische Obsorge, vielmehr solle eine dem Gericht vorgelagerte Schlichtungsstelle nach Lösungen suchen. Der Freiheitliche Peter Fichtenbauer sieht hingegen im Modell der gemeinsamen Obsorge, wie es bereits in Deutschland existiert, "ein gutes Vorbild, das sich bewährt hat". Ewald Stadler vom BZÖ wiederum will größeren Gestaltungsraum für die Gerichte.

Einladungspolitik

Die Postionen sind aber nicht nur zwischen PolitikerInnen klar abgesteckt. Auf den Besuchsrängen des großen Plenarsaals haben sich Fronten gebildet. Auf der einen Seite sitzen Väter-Vertreter, gekennzeichnet durch gleiche T-Shirts mit dem Aufdruck "Ich bin Vater - kein Besucher", auf der anderen Seite sitzen Frauen. Die zur Enquete geladenen ExpertInnen waren zwar unterschiedlicher Meinung, vor allem aber in juristischen Detailfragen. Die geladenen ExpertInnen vertraten großteils die Position, die gemeinsame Obsorge zu verordnen - mit Blick auf die SprecherInnenliste aber nicht verwunderlich. Sprechzeit bekamen vorwiegend JuristInnen. Im ersten Diskussionblock etwa sprach lediglich eine Vertreterin aus der Frauenarbeit, Elisabeth Wöran, von der Plattform für Alleinerzieherinnen. Sie zeigte sich darüber verwundert, dass die Politik eine Gesetzesänderung initiieren will, sobald Väter beginnen "politisch zu kämpfen, sich aufstellen und ihre gefühlte Benachteiligung äußern". Eine gemeinsame automatische Obsorge bedeutet für sie "ein Schritt nach Rückwärts", da einer Trennung bereits "eine Krise vorangeht", zudem berichtete sie aus ihrer Arbeitspraxis, dass "zu oft verschiedenste Formen der Gewalt mit im Spiel sind". Von den zahlreichen Frauen unter den ZuhörerInnen wurde dies durch Applaus goutiert, die Väter verhöhnten ihre Rede durch Auslachen, auch "Buh-Rufe" waren vereinzelt zu hören.

Überforderte JuristInnen

RichterInnen standen vorwiegend auf der Seite der Justizministerin, vor allem weil sie nicht mehr entscheiden wollen, wer der bessere Elternteil ist. Sie haben es sich nicht nehmen lassen, ihre Vorgesetzte auf die prekären finanziellen Bedingungen in der Justiz zu verweisen und mehr Geld einzufordern. Schnellere Verfahren bedeuten für RichterInnen, dass sie schneller von einem Akt zum nächsten greifen, bringen aber keine echte Entlastung. Doris Täubl-Weinreich, Richterin am Bezirksgericht Innere Stadt Wien, etwa sprach sich für eine den Gerichtsverfahren vorgelagerte Vermittlungsstelle aus, zudem solle die Obsorge am Standesamt und nicht bei Gerichten geregelt werden, dafür braucht es aber mehr Budget.

Die Rechtsanwältin Brigitte Birnbaum eröffnete ihre Rede damit, dass in der Obsorge-Debatte keine Legitimation für einen Geschlechterkampf vorherrscht. "Man kann Väter nicht in den Kreissaal holen, und sie dann wieder verjagen", sagte sie anschließend zur Freude der anwesenden Väter. Das Vaterbild hat sich, so Birnbaum, in den letzten Jahren stark gewandelt: "Väter wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen". Ihr Vorschlag ist, dass ein Abgehen von der automatischen Obsorge nur in bestimmten Gründen, etwa bei Missbrauch, erfolgen soll. Sie fordert zudem "ein anderes Wort für 'Besuchsrecht'" - lauter Beifall durch die Väter füllte den Plenarsaal.

Biologistische Erklärungsmuster

Auch einige andere SprecherInnen äußerten sich dahingehend, dass sich die Diskussion um die gemeinsame Obsorge nicht dafür eignet, einen Geschlechterkampf auszutragen. Gleichzeitig zitierten diese SprecherInnen in ihren Statements Studien, die die Unterschiedlichkeiten der Geschlechter hervorkehren. Der BZÖ-Abgeordnete Robert Lugar etwa sprach davon, dass "ein Mensch zu 50 Prozent aus den Genen der Mutter und zu 50 Prozent aus den Genen des Vaters bestehe". Eine alleinige Obsorge, argumentierte er, "ist daher unnatürlich". Auch dieses Statement kam bei den Männer-Vertretern gut an: Sie applaudierten, einer rief "Bravo". Einem Vater zufolge führt das System der alleinigen Obsorge zur "Ausschaltung" und "rechtlichen Kastration" eines Elternteils. Von "Entmachtung der Väter" und dem "Wohl des Kindes" war die Rede. Er will den "familienpolitischen Müll auf die Müllhalde bringen".

Systemkritik

Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern hielt dem entgegen, dass "nicht Mutter und/oder Vater relevant für das Wohl eines Kindes sind, sondern dass es verlässliche Bezugspersonen geben muss". Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle konterte den BefürworterInnen der automatischen gemeinsamen Obsorge, dass sie dabei auf die "Realität der Frauenarbeit vergessen". Vor allem das viel zitierte deutsche Modell, so Logar, "laufe alles andere als gut, denn immer mehr Kinder werden zum Kontakt mit dem Vater gedrängt und gezwungen, selbst wenn Gewalt ausgeübt wird". Mehrere Väter-Vertreter in den Besuchsreihen meinten dazu, "dass Frauen kein anderes Argument als das der Gewalt haben und dass sie immer mit dem daher kommen".

Aufhorchen ließ Erich Lehner bei seinem Statement. Der Männer- und Gesellschaftsforscher kritisierte in seinen Ausführungen die österreichischen Grundstrukturen - etwa das Fehlen einer flächendeckenden Kinderbetreuung. Er forderte ein Aufweichen der in Österreich festgeschriebenen Zuweisung des Öffentlichen an Männer und des Privaten an Frauen. "Man muss", so Lehner, "beide Eltern in die Verantwortung ziehen, aber nicht am Ende sondern am Beginn einer Beziehung". Das Gesetz, so Lehner weiter, "orientiert sich nach wie vor am 'Male-Bread-Winner-Model', das aber längst nicht mehr als solches existiert". Derzeit aber, so der Männerforscher weiter, "ratifiziert die Spruchpraxis die österreichische Kultur". (Sandra Ernst-Kaiser, dieStandard.at, 27.06.2010)