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Hickersberger: "Frankreich hatte mannschaftsinterne Probleme und Teamchef Domenech hat seine Autorität verloren. Italien hat eine überalterte Mannschaft gestellt und die Verjüngung verpasst."

Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

Vergangenen Freitag führte Michael Fiala von 90minuten.at mit Josef Hickersberger ein Interview. "Hicke" erzählt über die Eindrücke der WM, die Favoriten und Versager und analysiert, warum die afrikanischen Mannschaften noch nicht so weit sind. Außerdem spricht Hickersberger über seine Ziele als Teamchef mit Bahrain und äußerst sich über den aktuellen Zustand des österreichischen A-Teams...

Die Vorrunde ist vorbei. Welchen Trend können Sie bei dieser WM feststellen?
Josef Hickersberger:
Es ist noch früh, nach der Vorrunde einen gewissen Trend festzustellen. Es hat in der Vorrunde oft die Vorsicht dominiert. Viele Mannschaften haben tief verteidigt und wollten wenig Torchancen zulassen und wollten durch den Konter zum Torerfolg kommen. Es waren wenige Mannschaften imstande, das Spiel zu dominieren. Die meisten Mannschaften haben sich darauf beschränkt, das Spiel zu kontrollieren.

War das der Hauptgrund, warum sich die vermeintlich großen Mannschaften so schwer getan haben in der Vorrunde?
Hickersberger:
Die kleineren Nationen sind defensiv sehr gut organisiert und auch konditionell auf dem gleichen Niveau wie die Topmannschaften. Sie wissen um ihre spielerischen Defizite, sie haben ganz einfach nicht die Klasse wie die großen Nationen und daher beschränken sie sich darauf, das Spiel des Favoriten zu zerstören. Das ist Nordkorea gegen Brasilien lange Zeit sehr gut gelungen. Es ist daher nicht so einfach, defensive Mannschaften auszuspielen. Da braucht man schon sehr gute Form, Kreativität und große Klasse. Das fehlt bei vielen Mannschaften bisher wie man bei Frankreich oder Italien gut gesehen hat. Aber auch England spielte weit unter den eigenen Möglichkeiten.

Sind Frankreich und Italien an der eigenen Überheblichkeit gescheitert?
Hickersberger:
Nein, das hat mit Überheblichkeit überhaupt nichts zu tun. Frankreich hatte mannschaftsinterne Probleme und Teamchef Domenech hat seine Autorität verloren. Italien hat eine überalterte Mannschaft gestellt und die Verjüngung verpasst. Im letzten Spiel gegen die Slowakei war die Angst vor dem Ausscheiden 70 Minuten so groß, dass die Beine schwer wurden. Erst mit der puren Verzweiflung hat man gesehen, dass mehr möglich gewesen wäre.

Die afrikanischen Mannschaften haben die Erwartungen wieder nicht erfüllt. Woran liegt das?
Hickersberger:
Afrika hat im Fußball nicht so eine große Tradition wie Länder in Süd Amerika oder Europa. Vor allem mit der Organisation in den Verbänden gibt es große Probleme. Oft kommen auch politische Einflüsse negativ zur Auswirkung. Aus diesem Grund ist noch keine afrikanische Mannschaft so weit, um einen WM-Titel mitspielen zu können.

Welche Mannschaften haben Sie bisher überzeugt?

Hickersberger: Am besten hat mich bisher Argentinien überzeugt, auch vor allem in der Offensive, in der Verteidigung passieren hier aber noch zu viele Fehler. Deutschland hat gegen Australien hervorragend gespielt, auch gegen Serbien nach dem Ausschluss von Klose noch sehr gut gespielt. Im letzten Spiel war Deutschland gegen Ghana dann sehr verkrampft. Deutschland spielt anders als man es aus den Jahren zuvor kennt - spielfreudig und kreativ. England hat mich eigentlich sehr enttäuscht, erst im letzten Gruppenspiel hat man die britischen Tugenden wie Kampfgeist und das schnellere Spiel ansatzweise gesehen. Auch Brasilien ist bisher noch nicht so aufgetreten, dass man sagen muss, dass sie unbedingt Weltmeister werden müssen.

Wurde Brasilien noch zu wenig gefordert?
Hickersberger:
Auch wenn Brasilien noch nicht voll gefordert wurde, hätte man sich im Spiel gegen Portugal spielerisch mehr erwarten dürfen.

Vor rund zwei Jahren waren Sie noch österreichischer Teamchef. Was fehlt Österreich, um halbwegs regelmäßig im Konzert der 32 besten Mannschaften mitspielen zu können?
Hickersberger:
Ich glaube, wir haben mit den Nachwuchsnationalmannschaften in den letzten Jahren sehr viel Erfolg gehabt. Ich erinnere nur an die WM in Kanada, auch jetzt haben die Nachwuchsmannschaften die Qualifikationen erfolgreich gespielt. Leider gelingt es uns noch nicht, die Erfolge der Nachwuchsteams dann auch auf die A-Nationalmannschaft zu übertragen. Es kommen viele junge Spieler nach.

Was fehlt dem A-Team konkret?
Hickersberger:
Es fehlt aus meiner Sicht ein Gerüst, das bei der Europameisterschaft 2008 schon zu erkennen war, vor allem im defensiven Bereich. Daher wird es wieder einige Zeit dauern, bis eine Mannschaft steht, die bei einer günstigen Auslosung dann eine WM- oder EM-Qualifikation schaffen könnte.

Ohne jetzt konkrete Namen zu nennen. Aber kann es sich Österreich prinzipiell leisten, auf Legionäre zu verzichten? Es ist schon sehr auffällig in den vergangenen zwei Jahren, dass auf ein paar Legionäre verzichtet wurde. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Hickersberger:
Es ist immer Sache des jeweiligen Teamchefs, die Spieler auszuwählen. Meiner Meinung nach sollte man auf Spieler zurückgreifen, die über internationale Erfahrung verfügen, die vielleicht auch schon eine WM- oder EM-Qualifikation gespielt haben. Eine derartige internationale Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen.

Täuscht der Eindruck, dass in diesem Bereich in den vergangenen zwei Jahren persönliche Eitelkeiten über den sportlichen Erfolg gestellt wurden?
Hickersberger:
Das kann ich nicht beurteilen.

Themenwechsel: Sie sind ab 1. Juli neuer Teamchef von Bahrain. Erfolgte der Abschied von Al Wahda aufgrund dieses Engagements oder ist das unabhängig zu sehen?
Hickersberger:
Das ist unabhängig zu sehen. Ich habe mich bei den Vertragsverhandlungen mit Al Wahda nicht einigen können. Das war vorauszusehen, weil wir die Erfolge dieses Jahres nicht wiederholen werden können, weil der Plafond erreicht war. Danach hat es dieses Angebot aus Bahrain gegeben. Ich kenne die dort handelnden Personen und den Präsidenten des Fußballverbandes. Sie haben mich schon während der Europameisterschaft 2008 besucht und jetzt hat es geklappt.

Wie sieht der Vertrag konkret aus?
Hickersberger:
Wir haben einen zweijährigen Vertrag mit beiderseitiger Option auf zwei weitere Jahre. Es gibt Ausstiegsmöglichkeiten für beide Seiten zu relativ kulanten Bedingungen.

Ich nehme an, man mit Ihnen schon über die Ziele gesprochen?
Hickersberger:
Bahrain will sich für eine Fußballweltmeisterschaft qualifizieren. 2006 ist man in der Barrage an Trinidad/Tobago gescheitert, jetzt im entscheidenden Spiel gegen Neuseeland. Es war also zwei Mal sehr knapp. Andererseits gilt es die Nationalmannschaft zu verjüngen und da scheine ich für Bahrain der richtige Mann zu sein.

Sie kommen mit dem Nationalteam im Juli nach Österreich auf Trainingslager nach Leoben. Welchen Hintergrund hat diese Entscheidung, Heimatverbundenheit oder gute Trainingslagerbedingungen?
Hickersberger:
Natürlich möchte ich als Österreicher auch meine Heimat im Ausland als Trainingslager bekannt machen, das ist aber nur ein kleiner Hintergedanke. Mittlerweile bereiten sich viele Nationalteams und Klubs in Österreich vor, weil es hervorragende Trainingsbedingungen gibt und auch die klimatischen Voraussetzungen passen. Aber Bahrain hat sich auch schon früher in Österreich vorbereitet. (Michael Fiala, 90minuten.at)