Bild nicht mehr verfügbar.

Fair und selbstkritisch: Das WM-Aus wird in England auf die eigene Kappe genommen

Foto: APA/EPA

London - Englands Hauptstadt hat den Fußball-Blues. Die Fahnen mit dem roten St.-Georgs-Kreuz sind eingerollt, die Trikots ausgezogen, die Autobanner wieder im Keller verstaut. Für mindestens zwei Jahre, bis zur EM. Vielleicht jedoch auch bis 2018, wenn England eventuell die WM ausrichten darf und somit automatisch qualifiziert wäre.

Die vorherige Euphorie ist nach der ernüchternden 1: 4-Niederlage gegen 'den alten Feind' Deutschland einer Art Verzweiflung gewichen. 'Wir hatten Pech mit dem aberkannten Tor', sagt der Sicherheitsangestellte Matthew, 'aber Deutschland war viel, viel besser.'

Diese Erkenntnis war den meisten englischen Fußballfans schon während des Spiels gekommen. Man nahm das Schicksal überwiegend schweigend hin. Aus und vorbei, kein Grund, irgendwelchen Ärger zu machen. In London blieb es in der Nacht überwiegend ruhig.

Lediglich am Leicester Square, einem Kneipen- und Restaurant-Viertel in der Innenstadt, bekam ein einsamer deutscher Fan Zoff mit britischen Hooligans. Ob dabei Alkohol eine wichtigere Rolle gespielt hatte als Lampards Treffer, war am Montagmorgen noch nicht klar.

Pubs statt Public Viewing

Ein Public Viewing, wie es in den großen deutschen Städten üblich ist, fand in der Millionen-Metropole, die in zwei Jahren die Olympischen Spiele ausrichtet, auch nicht statt. Eigentlich sollte das 'FIFA Fan Fest' im Regent's Park ausgerichtet werden, einer großen Grünfläche im nördlichen Zentrum. Schon im März wurden diese Pläne für eine öffentliche Vorführung für bis zu 20.000 Fans wegen Protesten der wohlhabenden Anwohner aber aufgegeben - auch weil es Befürchtungen gab, die Tiere im angrenzenden Zoo könnten gestört werden.

Also drängten die Fans traditionell in die Pubs. Die deutsche Kolonie traf sich im 'Zeitgeist' südlich der Themse nahe dem 'London Eye'. Weiße Deutschland-Trikots, wohin man sah, schwarz-rot-goldene Schminke auf der Wange, Wurst und Bier. Schon anderthalb Stunden vor dem Anpfiff waren der Laden und der Bürgersteig davor brechend voll, Fanfest-Atmosphäre wie an der Berliner Siegessäule. Man war unter sich und ging potenziellem Ärger aus dem Weg.

Die Befürchtungen erwiesen sich aber sowieso als unberechtigt. Die deutsche Dominanz war viel zu groß, als dass aus Enttäuschung noch Hass auf 'Germany' hätte werden können.

"Machen uns seit Jahren etwas vor"

'Herzlichen Glückwunsch', wünschte Malcolm aus Islington am Abend in der U-Bahn dem deutschen Fan, und auch im Pub 'Pig and Whistle' in Wimbledon wandelte sich die Enttäuschung schnell in Anerkennung für das deutsche Spiel. Für eine negative Note sorgten am Sonntag nur die hartherzigen Stewards des All England Clubs, die Schlangen-Campern verboten, ihr Zelt zu verlassen, um in einem Pub das Match zu schauen.

'Wir machen uns seit Jahren etwas vor, weil die Premier League so erfolgreich ist', sagte Postbote Mike am Montagmorgen, 'dabei schmeißen die Vereine nur Geld für ausländische Spieler raus, statt etwas für den Nachwuchs zu tun.' Und Matthew, der am Tor zum Tennisgelände in Wimbledon die Taschen kontrolliert, sagte: 'Unser Team war zu alt und zu langsam, wir hätten das auch vorher wissen können.'

Aber so war es - wie immer in England - nicht. Stattdessen wurde eine Woche lang in den Zeitungen auf Franz Beckenbauer verbal eingeschlagen, der nach der Vorrunde England für das 'kick and rush' kritisiert hatte.

Im Fernsehen verkündete der Kommentator nach dem Sieg von Sebastian Vettel beim Formel-1-Rennen von Valencia mit größter Selbstsicherheit: 'Das bleibt Deutschlands größter Sieg heute!' Well - almost.(SID)