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Der Angeklagte Göran L. war am Dienstag vor Gericht

Foto: AP Photo/Lotta Jarlsdotter

Der Vorzeigepolizist als mutmaßlicher Vergewaltiger: Der am Dienstag angelaufene Prozess gegen einen der höchsten Polizeibeamten Schwedens in Södertälje bei Stockholm gilt schon jetzt als größter Skandal der Exekutive.

Wegen steigendem Drucks der Öffentlichkeit entschied das Gericht am Montag, den zunächst geheimen Voruntersuchungsbericht in großen Teilen zu veröffentlichen. Was dort über den ehemaligen 64-jährigen Polizeichef der Stadt Uppsala auf 2700 Seiten steht, könnte aus einem Stieg-Larsson-Krimi stammen.

Doppelleben

Der seit Januar in Haft sitzende Göran L. führte anscheinend ein Doppelleben. Öffentlich setzte er sich für die Rechte der Frauen ein, hielt gar Reden über Frauenhandel vor der Uno. Gleichzeitig soll er jahrelang vergewaltigt und gefoltert haben.

Auch mit minderjährigen Frauen gehandelt

Damit nicht genug. In Schweden, wo bereits der Kauf von Sex mit Gefängnis bedroht ist, soll L. auch minderjährige Frauen zur Prostitution überredet oder gezwungen haben. Drei weiteren Angeklagten soll der Top-Polizist Gruppensextreffen mit Frauen - darunter Minderjährige - vermittelt haben. Laut Voruntersuchungsprotokoll war der Ex-Polizeichef bei seiner Verhaftung im Januar gerade auf dem Weg zu einer 14-jährigen Internetbekanntschaft. Bei sich hatte er eine Tasche mit Viagra-Pillen und Sexspielzeug, mit denen er die Schülerin misshandeln und vergewaltigen wollte, so die Staatsanwaltschaft.

In der Zeitung Expressen beschreibt eine der misshandelten Frauen die Treffen: Ihr Gesicht sei von dem Würgegriff und den Schlägen des Beamten ganz blau geworden, wird die 17-Jährige zitiert.

Kreis älterer Männer, die sadistische Orgien durchführten

Auf die Spur des Vorgesetzten kamen die Ermittler im Vorjahr durch einen Zufall. Damals wurde ein 60-jähriger Millionär und Zuhälter tot aufgefunden. Er gehörte zu einem Kreis älterer Männer, die sadistische Orgien durchführten. Bei dem Toten wurde ein Handy sichergestellt - das Zeugnis vom engen Kontakt zum Ex-Polizeichef ablegte. Die Beschattung begann.

Leitete EU-Projekt Gender Force

In der Öffentlichkeit trat der 64-Jährige ganz anders auf. Der Spitzenbeamte und ehemalige Polizeihochschulrektor hatte sich bei seiner Behörde und dem Innenministerium einen Namen als Feminist und Vorkämpfer der Gleichstellung von Frauen gemacht. "Kapitän Kleid" wurde er genannt. Sein Amt als Polizeichef von Uppsala wurde dennoch oder gerade deshalb nach 2006 nicht verlängert. Bis zu seiner Pensionierung im vergangen Herbst stand er aber weiter im Polizeidienst - so leitete er ein EU-Projekt namens Gender Force.

Hielt Vorlesungen zum Thema: Misshandlung von Frauen

Erst im Januar 2009 hielt er Vorlesungen vor Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern. Thema: Misshandlung von Frauen. Laut Anklage soll der Beamte nur Tage zuvor eine Minderjährige vergewaltigt und misshandelt haben. Auch die Vergewaltigung eines Kindes wird ihm im Prozess zur Last gelegt.

Wegen 23 Anklagepunkten steht der 64-Jährige vor Gericht, acht gesteht er ein. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahren Gefängnis. Ein Termin für die Urteilsverkündung ist noch nicht bekannt. (André Anwar aus Stockholm/DER STANDARD, Printausgabe, 30. Juni 2010)