Von links: Maximilian Edelbacher, Petra Reski, Gerfried Sperl, Jürgen Roth, Max-Peter Ratzel - Ihr Befund beim Standard-Montagsgespräch im Haus der Musik fiel wenig erfreulich aus: Die Mafia hat sich auch in Österreich längst niedergelassen

Foto: DER STANDARD/Andy Urban
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Gerät Österreich in die Fänge der Mafia? Es war natürlich purer Zufall, dass die zentrale Frage des Standard-Montagsgesprächs im Haus der Musik keine 100 Meter entfernt von jenem Ort gestellt wurde, an dem im Jahr 1996 in der Wiener Innenstadt der georgische Oligarch David Sanikidse (siehe Eintrag im Mafia-Lexikon) erschossen worden war. Eine Bluttat, "die die österreichische Polizei geradezu aufgeweckt hat", wie sich der damalige Chef des Wiener Sicherheitsbüros, Maximilian Edelbacher, erinnert. Die Eskalation der Gewalt, die vor allem aus Ländern des zerfallenen Ostblocks überschwappte, bekamen die Sicherheitsbehörden zwar in den Griff. Dass mafiose Strukturen dennoch auch in Österreich Fuß fassen konnten, ist für Edelbacher unumstritten.

Und mit dieser Einschätzung steht der Topkriminalist im Ruhestand nicht allein da. "In den Geldwäscheskandal der Telecom Italia waren 14 Auslandsbanken involviert, zwölf davon aus Österreich", eröffnete die deutsche Buchautorin und Mafia-Spezialistin Petra Reski den Reigen der Vorwürfe. Reski, die in Venedig lebt, kritisiert vor allem den "guten Glauben", dass die italienische Mafia ein Problem Italiens sei: "Mafiose Strukturen in Österreich und Deutschland gibt es seit 40 Jahren." Vor allem die kalabresische `Ndrangheta habe sich im Ausland im Schatten der sizilianischen Cosa Nostra zu einer Wirtschaftsmacht entwickelt. "Und die 45 Milliarden Euro Jahresumsatz werden auch fleißig in die legale Wirtschaft investiert."

"Das Fragezeichen in der Eingangsfrage können Sie getrost durch ein Rufzeichen ersetzen", machte Reskis Kollege, der deutsche Buchautor Jürgen Roth, Standard-Moderator Gerfried Sperl keine Illusionen. Für Roth, spezialisiert auf die organisierte Kriminalität aus dem Osten, ist Wien seit den 1990er-Jahren ein Stützpunkt der Paten. "Fast alle kriminellen Bosse, die heute in Russland im Kampf um die Macht der Oligarchen mitmischen, hatten oder haben Residenzen an der schönen blauen Donau", so Roth.

Einmal mehr, und diesmal vor einem großen Publikum beim Standard-Montagsgespräch, erneuerte Roth die Behauptung, dass der in Österreich recht bekannte russische Wirtschaftsmagnat und Oligarch Oleg Deripaska in einem Nahverhältnis zur russischen kriminellen Vereinigung Ismajlowskaja stehe. Wie berichtet, weist Deripaska diesen Vorwurf entschieden zurück. Üblicherweise reagiert er mit Klagen wegen Rufschädigung. Konkret behauptet Roth nicht, dass Deripaska ein Mafiamitglied sei, sondern dass er von kriminellen Geschäften profitiert habe. Der deutsche Autor beruft sich dabei auf ein rechtskräftiges Urteil der 5. Großen Strafkammer am Landgericht Stuttgart. In Österreich liegt - wie berichtet - nichts strafrechtlich Relevantes gegen Deripaska vor.

Polizei politisch gefesselt

Auch in der Causa Alijew nahm sich Roth kein Blatt vor den Mund: Die Bemühungen des ehemaligen Botschafters Kasachstans in Wien, Rakhat Alijew, sich als Freund demokratischer Reformen in Kasachstan darzustellen, bezeichnet Roth als "Show" für die Medien. Den "gespielten" Einsatz für die Menschenrechte dürfe man Alijew nicht abnehmen. Die österreichische Polizei habe offenkundig Erkenntnisse über Alijew, sei aber "offenbar politisch gefesselt", meinte Roth. Wie berichtet, fordert die Republik Kasachstan von Österreich die Auslieferung Alijews wegen der angeblichen Entführung zweier Manager der kasachischen Nurbank.

Auch Max-Peter Ratzel, bis 2009 Direktor von Europol und jetzt im Ruhestand, sieht in der Causa Alijew "noch viel Aufklärungsbedarf". Immerhin, zitierte er Medienberichte, sei auch von Geldwäsche bis zu 100 Millionen Euro die Rede.

"Verdachtsberichterstattung"

Sonst fungierte Ratzel auf dem Podium eher als Gegenpol zu Roth und Reski. Er warf den Autoren vor, oft nur "Verdachtsberichterstattung" zu betreiben. "Mit Vermutungen können Polizei und Justiz nichts anfangen. Was wir brauchen, sind konkrete Hin- und Beweise", so Ratzel. Was Roth und Reski wiederum mit der stets existenziellen Bedrohung durch Privatklagen zurückwiesen. Und: "Sie können von uns doch nicht verlangen, dass wir Staatsanwälte spielen", empörte sich Roth.

"Mehr Aufklärung" wünschen sich alle Diskussionsteilnehmer. Reski: "Aber so lange die Leute mit Mafia nur Mario Puzos Paten assoziieren, ist das schwierig." (Michael Simoner/DER STANDARD, Printausgabe, 30. Juni 2010)

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Wissen: Mafia Lexikon

  • Albanische Mafia: soll rund ein Drittel des weltweiten Drogenhandels kontrollieren.
  • Cali-Kartell und Medellín-Kartell: Kolumbianische Organisationen, die sich bis in die 90er-Jahre den Kokainhandel in Südamerika und in den USA aufteilten. Medellín-Boss Pablo Escobar saß kurzzeitig sogar im kolumbianischen Kongress und wurde 1993 von der Polizei erschossen.
  • Camorra: Neapolitanische Verbrecherbande.
  • Cosa Nostra: Ursprünglich nur der US-Ableger der sizilianischen Mafia. Aus den 1930er-Jahren bekannte Bosse: Al Capone, Lucky Luciano, Vito Genovese und Frank Costello. In den 1990er-Jahren: John Gotti und Sammy Gravano. Heute und vor allem in Europa ist La Cosa Nostra auch die Bezeichnung für die originäre sizilianische Mafia, als deren aktueller mutmaßlicher Boss der seit 1993 gesuchte Matteo Messina Denaro (48) gilt. Sein Tarnname lautet "Diabolik".
  • Diebe im Gesetz: Kriminelle Autoritäten, die innerhalb russisch dominierter Gruppen auftreten. Entstanden in den Zwangslagern der Stalin'schen Herrschaft.
  • Ecomafia: Sammelbegriff für Ökomafia, die bei der seit fast 20 Jahren andauernden Müllkrise in der Region Kampanien eine entscheidende Rolle spielt. Soll mit illegalen Geschäften mit Müllabfuhr, Müllhandel und Mülllagerung (auch in Österreich) jährlich 20 Milliarden Euro umsetzen.
  • Falcone, Giovanni: Untersuchungsrichter und berühmtester AntiMafia-Ermittler. 1992 ermordet.
  • Ismailkowskaja und Solnzewskaja: Zwei der mächtigsten russischen Mafia-Clans, benannt nach Moskauer Stadtteilen.
  • Mafia: Weltweit agierende aus Italien stammende Verbrecherorganisation mit Wurzeln im Sizilien des 19. Jahrhunderts. Heute auch als allgemeiner Sammelbegriff für kriminelle Organisationen auf der ganzen Welt verwendet ("Russenmafia").
  • Nasa Stvar: Serbische Mafia, die seit dem Jugoslawienkrieg vor allem illegalen Waffenhandel betreibt.
  • 'Ndrangheta: Vereinigung der kalabrischen Mafia. Sie gilt wegen ihrer zahlreichen Verbindungen ins Ausland, vor allem auch nach Deutschland, als mächtigste Mafia-Organisation Europas.
  • Omertà: Schweigegesetz der italienischen Mafia.
  • Operation Java: International akkordierte Polizeiaktion gegen die georgische Mafia im März 2010, bei der allein in Österreich zwei Dutzend Verdächtige festgenommen wurden.
  • Pizzo: Schutzgelderpressung in Italien, wo damit pro Jahr rund 100 Milliarden Euro umgesetzt werden sollen.
  • Riina, Toto: sizilianischer "Boss der Bosse" aus Corleone, 1993 verhaftet und zu zwölfmal lebenslang verurteilt.
  • Russenmafia: Sammelbegriff für kriminelle Banden, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auftraten. Mitte der 90er-Jahre sollen es 5000 verschiedene Gruppierungen gewesen sein. Im Unterschied zur italienischen Mafia sollen in Russland auch von Anfang an ehemalige Geheimdienstler die Fäden gezogen haben.
  • Sacra corona unita: Mafia-Organisation aus Apulien.
  • Sanikidse, David: Georgischer Oligarch, der 1996 in der Wiener Innenstadt auf offener Straße erschossen wurde. Seine Begleiterin wurde schwer verletzt. Angeblich hatte sich Sanikidse, der in Österreich Verbindungen bis in die höchste Politik hatte, ohne Genehmigung anderer Paten Geld aus dem "Obschak", wie die Gemeinschaftskasse der georgischen Mafia bezeichnet wird, genommen. Drei später verurteilte Täter aus Georgien wurden vorzeitig aus der Haft entlassen und sind bereits in ihre Heimat zurückgekehrt.
  • Smotreashij: Wörtlich übersetzt "die Schauenden", die die georgischen "Diebe im Gesetz" überwachen.
  • Triaden: Rund 5000 kriminelle Gruppierungen in China, die teilweise miteinander in Verbindung stehen. Die Triade Sun Yee On in Hongkong soll 50.000 Mitglieder haben. Das Symbol der Triaden ist der Drache.
  • Vendetta: Blutrache in Sizilien.
  • Wolomin und Pruszkow: mafiaähnliche Bündnisse in Polen.
  • XY-Bande war eine schwerkriminelle Vereinigung, die bis 2005 in und um Neuruppin in Brandenburg Drogenhandel und illegales Glücksspiel betrieb. Ihre mafiösen Verbindungen gingen bis ins Rathaus und zur Polizei.
  • Yakuza: Japanische Mafia. Laut Wikipedia ist die Bezeichnung Ya-Ku-Za eine dialektale Aussprache der Zahlenkombination 8-9-3, die im Kartenspiel Hanafuda (ähnlich dem Black Jack) als wertlos gilt. (simo/DER STANDARD, Printausgabe, 30. Juni 2010)