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Am Ende war alles gut: Jürgen Rüttgers (rechts) gratuliert dem Wahlsieger, Bundeskanzlerin Merkel strahlt

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Bettina Wulff, Ehefrau des Kandidaten Christian Wulff (CDU) aus Niedersachsen, zeigt während der Bundesversammlung, wohin sie und ihr Mann gerne möchten. Der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck nimmt es gelassen

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Angela Merkel hat es gut, zumindest, was das Platzangebot betrifft. Die deutsche Kanzlerin wie auch andere Spitzenpolitiker sitzen an diesem besonderen Wahlgang im Bundestag natürlich in der ersten Reihe. Mit Tischchen, Telefon und gepolsterten Sesseln.

Dahinter wird es deutlich unbequemer. 1244 Wahlleute drängen sich Schulter an Schulter im Plenum des deutschen Bundestags. So voll ist es dort nur zur Bundespräsidenten-Wahl. "Schon gesehen? Mutti trägt Schwarz, sehr vorausschauend" , witzelt jemand auf der Pressetribüne.

Die Aufregung ist überall greifbar, obwohl jüngste Meldungen auf eine glatte Wahl für die schwarz-gelbe Koalition hindeuten. In nächtlichen Gesprächen waren in der Unions- und in der FDP-Fraktion die Abweichler (soweit sie sich aus der Deckung gewagt hatten) bearbeitet worden.

Sie mögen doch bitte den von Schwarz-Gelb nominierten niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) wählen, nicht den rot-grünen Kandidaten, den DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. In der Union hieß es danach, man werde geschlossen für Wulff stimmen, die FDP vermeldete lediglich vier Abweichler.

Schock am Nachmittag

Doch viele der schwarz-gelben Wahlmänner, die um 13 Uhr ihre Wahl-Kuverts in die Wahlbox werfen, wollen das Spiel nicht mitmachen. Denn es kommt alles ein wenig anders. Um 14 Uhr 10 nimmt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die zuvor für die Wahlauszählung unterbrochene Sitzung wieder auf. "Zweiter Wahlgang" , zischt bereits jemand auf der Tribüne. Merkel, Wulf und auch FDP-Chef Guido Westerwelle schauen finster, als sie ihre Plätze wieder einnehmen.

Das von Lammert verlesene Ergebnis ist ein harter Schlag für sie. Wulff bekommt nur 600 Stimmen. Dabei haben Union und FDP gemeinsam 644 Wahlmänner und Wahlfrauen. Die absolute Mehrheit wäre bei 623 Stimmen gewesen. An diese kommt auch Gauck nicht heran. Aber er erhält 499 Stimmen, obwohl SPD und Grüne nur 460 Sitze haben. Einen Achtungserfolg kann Linken-Kandidatin Luc Jochimsen verbuchen: Es gibt 124 "linke" Stimmen in der Bundesversammlung, auf sie entfallen jedoch 126 Stimmen.

Lammert unterbricht die Sitzung, die Fraktionen ziehen sich eilig zu Beratungen zurück. Merkel richtet laut Sitzungsteilnehmern einen eindringlichen Appell an die Wahlleute der Union, jetzt doch geschlossen für Wulff zu stimmen und sagt: "Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die gemeinsamen politischen Ziele" . Daran solle man denken, auch wenn die Wahl frei und geheim sei. CSU-Chef Horst Seehofer warnt vor gegenseitigen Schuldzuweisungen nach der Klatsche im ersten Wahlgang.

Doch genau die beginnen zur gleichen Zeit schon vor den Kameras und Mikrofonen. "Wir werden weiterhin geschlossen Christian Wulff wählen, so wie wird das im ersten Wahlgang auch getan haben" , verkündet FDP-Chef Guido Westerwelle und schiebt damit der Union den Schwarzen Peter zu. Auf der anderen Seite ist die Stimmung natürlich prächtig. "Demokratie ist lebendig und funktioniert. Ich freue mich" , sagt Gauck.

Um 15 Uhr 15 geht das Spiel noch mal von vorne los. Wieder treten die 1.244 Wahlmänner und Wahlfrauen an, um ihre Stimme abzugeben. Das dauert eine geraume Zeit. Um 17 Uhr 10 läutet die berühmte Glocke, die die Wiederaufnahme der Sitzung ankündigt. Gebannt wird jede Geste von Merkel, Seehofer und Westerwelle verfolgt. Deren Mienen sind immer noch duster. Wenige Minuten später zeigt sich warum: Wieder hat Wulff die absolute Mehrheit verpasst. Er bekommt jetzt immerhin 615 Stimmen. Das ist nicht genug. Gauck hingegen verlor neun Stimmen, er erhält 490 Stimmen. Luc Jochimsen kommt auf 123 Stimmen.

Im dritten Wahlgang tritt sie nicht mehr an, Die Linke gibt die Abstimmung frei, von der Fraktionsspitze kommt aber ausdrücklich keine Empfehlung für Gauck. Daher reicht es jetzt, wo nur noch die relative Mehrheit erforderlich ist, dann endlich für Wulff. 625 Stimmen, zum ersten Mal an diesem Tag ist lächelt Merkel. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2010)