Alfred Treiber: "Ich bin nicht bös'. In gewisser Weise waren wir wild und sind es noch immer."

Foto: STANDARD/Hendrich

Standard: Sie haben einem Ö1-Kritiker einmal geraten: "Frag mich, wie es mir geht, und ich werde dir eine lange asiatische Antwort geben". Wie geht es Ihnen?

Treiber: Das habe ich nur gesagt, weil er Zitate von mir verdreht hat. Das nehme ich bei Ihnen nicht an, gebe ich Ihnen daher keine asiatische Antwort, das heißt: Ich antworte Ihnen. Wie war die Frage?

Standard: Wie geht es Ihnen?

Treiber: Hervorragend.

Standard: Ich frage so platt, weil Sie den ORF nach 44 Jahren sehr verärgert verlassen: Ihr Wunschnachfolger als Ö1-Chef wird nicht zum Zug kommen. Ist es nicht eine naive Vorstellung, Sie könnten im ORF Ihren Nachfolger bestimmen?

Treiber: Nennen Sie es naiv. Ich verstehe nicht, warum alle Leute, die keine Ahnung haben, bei der Besetzungsfrage Gewicht haben - aber ich nicht. Alle Bewerber sind von Ö1 und daher gute Leute. Ich meine, Marketing-Chef Clemens Kopetzky ist der Beste. Aber schließen wir das Kapitel ab. Wenn alle sagen, dass die Bewerber gleich gut sind, ist es wurscht, wer es wird. Wenn ich das nicht sage, ist es für mich nicht wurscht; unterm Strich ist es aber dann auch wurscht, weil es auf mich nicht ankommt. Ö1 wird das nicht umbringen, mich schon gar nicht.

Standard: Als Sie mit 22 im ORF begonnen haben, hat Generalintendant Gerd Bacher "die Wildesten der Wilden" in die Jugendredaktion geholt. Vom wilden Jungen zum angry old man?

Treiber: Ich bin nicht bös'. In gewisser Weise waren wir wild und sind es noch immer. Sonst würden wir nicht so etwas wie "Schiff Ahoi" (umstrittene Satiresendung am Sonntagfrüh; Anm.) machen. Wir haben damals frische Luft ins Radio gelassen, die verkrusteten Strukturen aufgebrochen. Aber die maoistische Revolte haben wir nicht gebracht, bei ernsthafter Betrachtung haben wir keine Gefahr für Radio und Staat dargestellt.

Standard: Die 68er-Uni-Aktionisten wie Günter Brus, Otto Mühl oder Robert Schindel hatten Haus- und Sendeverbot ...

Treiber: Alle, die bei der Uni-Ferkelei dabei waren. Ich habe damals eine Sendung für Peter Weibel gemacht, die hieß "Für Menschen verboten". Durfte nicht gesendet werden, bzw. erst zwanzig Jahre später.

Standard: Sicher waren Sie stolz drauf, dass Ihre Sendung auf dem Index stand?

Treiber: Nein, ich habe mich kurz geärgert. Manches war auch absurd. Warum hätte man nie wieder etwas über Oswald Wiener machen sollen? Er hat an der Uni ja nur irgend welche mathematischen Formeln auf die Tafel geschrieben. Und irgendwann hat man sich dann halt nicht mehr an das Sende- undn Auftrittsverbot gehalten.

Standard: Wolfgang Schüssel gehörte damals ja auch zu den jungen Wilden im ORF-Rundfunk.

Treiber: Gemessen an dem, was er später war, war Schüssel damals auch ein wilder Hund.

Standard: Er wurde sogar zensuriert, durfte nach einem Beitrag über einen Vorstoß zur Wehrpflicht-Abschaffung die Spendenkontennummer nicht senden.

Treiber: Die Abschaffung der Wehrpflicht hat er dann vergessen. Aber er hat vieles vergessen.

Standard: Tarockieren Sie noch mit seinem Berater, Meinungsforscher Rudolf Bretschneider?

Treiber: Wenn er Zeit hat. Aber auch mit Gerhard Weis, Molterer, Busek, Maria Schaumayer.

Standard: Tarock, Tennis, Poker. Sie sind bekannt dafür, dass Sie gern spielen ...

Treiber: Das gebe ich zu. Vor Leuten, die nicht spielen, nicht verspielt sind, vor denen fürcht' ich mich. Ich bin verspielt.

Standard: Auch im Beruf? Sie und Richard Goll gelten in Österreich als Erfinder des Feature, da spielt man auch ewig dran rum, oder?

Treiber: Alles Aufwendige hat etwas Verspieltes, auch das Feature-Machen. Wir haben oft siebzig, hundert Stunden geschnitten; für unser erstes Feature, über den Prater, haben wir über ein halbes Jahr 200 Interviews geführt.

Standard: Kommt das Aufwendige in den Medien heute nicht zu kurz?

Treiber: Doch, die Oberflächlichkeit hat zweifellos zugenommen.

Standard: Weil wir beim Spielen waren. Was war denn das wichtigste Spiel das Sie je verloren haben?

Treiber: Scheidungen.

Standard: Sie sind zum dritten Mal verheiratet ...

Treiber: ... und habe also schon zwei Mal ein großes Match verloren.

Standard: Sie haben in den 70ern ein Feature über einen Selbstversuch gemacht: Spielen in Las Vegas. Haben Sie dort gewonnen?

Treiber: Verloren, um die 10.000 Schilling, aber eigenes Geld. Ich wollte die Lust beschreiben, analysieren, was in einem Spieler vorgeht. Ich habe mich sehr geärgert über eine typische Amerikanerin: dick, schrilles Outfit, skurriler Hut, sehr merkwürdig. Sie hat beim Pokern dauernd gewonnen. Da dachte ich: Gerechtigkeit kann es nicht geben in dieser Welt, sonst könnte eine solch skurrile Figur nicht immer so gute Karten bekommen.

Standard: Hätte sie schöner sein müssen zum Gewinnen?

Treiber: Ich hätt' mich auch geärgert, hätte ein schöner Mann oder ein hübsche Frau alle raffinierten Spieler ausgetrickst, nur weil er oder sie dauernd das Glück hat, die guten Karten zu bekommen.

Standard: Den Glauben an die Gerechtigkeit je zurück gewonnen?

Treiber: Ich hatte ihn in Wahrheit ja schon vorher nicht. Die Gerechtigkeit in der Welt gibt es wirklich nicht. Das steht fest.

Standard: Und kann Journalismus ein bisserl mehr Gerechtigkeit in die Welt bringen?

Treiber: Wenn man den Gang der Welt beobachtet, glaubt man es nicht. Aber der Journalismus sollte es wenigstens versuchen. Wenn man Leuten Dinge erklärt, verstehen sie besser, und wer besser versteht, kann gerechter beurteilen. Im ORF passiert das eher als in anderen Medien, weil das kommerzielle Interesse hier im Vergleich schaumgebremst ist.

Standard: Ihr Lieblingsfeature war "Der Diener seines Herrn und der Herr". Da haben sie ein Jahr zwei Männer begleitet, die zusammen wohnten und tranken bis sie schließlich delogiert wurden, einer Ex-Adeliger, einer sein Diener. Was hat Sie daran so interessiert? Dass die beiden "ihr Innerstes nach Außen kehrten", wie Sie eines der Ziele Ihrer Arbeit nannten?

Treiber: In der Geschichte sind wir tief in die Psyche vorgedrungen. Jeder der zwei glaubte, er brauche den anderen nicht, aber der andre ihn. In Wirklichkeit gab der Diener den Ton an, war lebensfähiger als der Baron. In den Interviews haben sie sich abseits aller gesellschaftlichen Konventionen so dargestellt, wie sie wirklich waren. Beide sind längst gestorben.

Standard: Waren Journalisten damals mutiger als heute? "Unsere Revolution war Ernst Jandl", sagten Sie über die 70er. Als er seine Klanggedichte in Ihrer Sendung vortrug, bekamen Sie 800 Beschwerden.

Treiber: Ich war damals sehr stolz darauf, Jandl ist bis heute unser Beschwerderekord. Aber man kann die Zeiten nicht vergleichen. Der Hörfunk war ein verkrustetes Haus, die Klopapierrollen musste man sich selbst besorgen, alle hatten weiße Arbeitsmäntel an...

Standard: Da gab es die Dienstanweisung, sie nicht mit Heftklammern zu reparieren, weil das beim Waschen Rostflecke gibt. Taubenfüttern war auch verboten.

Treiber: Ja, es war vieles an skurrilen Dienstanweisungen nötig, weil der ORF in einem fortgeschrittenen Stadium der Verkommenheit angelangt war, durch Geldmangel und Politisierung, die heute unvorstellbar ist. Die erzkonservative Haltung der Amtsträger, auch wenn sie sich Sozialisten nannten, musste junge Leute mit Verstand zur Weißglut bringen. Da war Opposition eine Selbstverständlichkeit. Aber heute? Da sind die Altvorderen so unglaublich scheiß-liberal, wogegen soll man da kämpfen?

Standard: Warfen Sie wirklich die Schallplatten, die die Vertreter brachten, aus dem Fenster?

Treiber: Ja, wir hatten wirklich kein Benehmen. Die Plattenfirmen, die uns bemusterten, haben nicht daran gedacht, dass wir andere Musik spielen als bei Ö3 üblich. Die Jugendredaktion saß weit weg vom Haupthaus in einer Baracke, vor der eine große Kastanie stand. Wenn uns die diesen Schund brachten, für den wir ihre Platten hielten, machten wir aus Büroklammern U-Hakerl, und schauten, ob die Platten auf dem Baum hängen bleiben. Die Bemusterung wurde dann eingestellt, dafür kamen andere Anbieter.

Standard: André Heller war Ihr Kollege in der Ö3-Musicbox. "Er wollte eine gute Frisur, ich wollte die Welt verbessern", sagten Sie einmal. Wem ist was gelungen?

Treiber: Heute will er die Welt mehr verbessern als ich. Meine Hoffnung ist schon ein bisschen müde. Damals war Heller der Popstar und wollte berühmt werden - wir anderen wollten die Welt erretten mit unseren Sendungen.

Standard: Treiber, der Aufklärer?

Treiber: Ja, das würde ich gern sein. Ö1 steht im Dienste der Aufklärung, im Gegensatz zur vorherrschenden Verblödung: Next Top Model, all die Rankings, zehn Stunden Hochzeitsübertragung von einem Tennis-Kasperl...

Standard: Die Leute schauen zu.

Treiber: Es geht um den Ansatz. Lautet der: Die Leute sind blöd, so setzt man ihnen etwas Blödes vor, um sie glücklich zu machen. Ö1 sagt, zehn Prozent der Bevölkerung sind nicht blöd und verdienen ein aufklärerisches Programm. Wir liefern ihnen Material zum Nachdenken. Je größer die kommerziellen Interessen, desto mehr ist die Bedienung der Blödheit Programm. Muss so sein.

Standard: Sie sagten aber unlängst einmal, die Leute "gieren nach Sinn". Wie passt das zusammen?

Treiber: Das Gieren nach Sinn nimmt sogar zu. Das sieht man an den steigenden Reichweiten von Ö1.

Standard: Ist das nicht eine sehr selbstbezogene, eingeschränkte Sicht?

Treiber: Nein. Schmutz und Schund nehmen zu - und so viel Unsinn zieht Sehnsucht nach Sinn nach sich.

Standard: Sie sagen immer, in Ö1 wurde politisch kaum interveniert. Stimmt das? Vom ORF Fernsehen hörte man in den vergangenen Jahren ja eher das Gegenteil. Von Ihrem Tarock-Freund Molterer sprach man wegen seiner Anrufe im ORF gern als "Moltofon".

Treiber: Für Ö1 gilt das nicht. In den vielen, vielen Jahren, die ich hier verbracht habe, habe ich unheimlich wenig persönliche Interventionen erlebt. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich nicht der Typ bin, bei dem man gerne interveniert.

Standard: Sie lieben Nestroy und Karl Kraus. Gibt es heute Schriftsteller, die ihnen nahe kommen?

Treiber: An Karl Kraus kommt niemand heran. Niemand hat seine Sprachgewalt und seine blinde Wut und seinen Fanatismus. Bei Nestroy weiß i net recht, Elemente findet man bei Thomas Bernhard, Peter Turrini. Wenn Bernhard schwadronierte: Das hat schon Nestroy-Qualität gehabt.

Standard: Vielleicht gibt es heute keinen Grund für so viel Wut?

Treiber: Oh doch.

Standard: Was macht Sie wütend?

Treiber: Blödheit und die Verbreitung derselben. Aber: Ich reg' mich nicht mehr so sehr auf. Mein neuer Wahlspruch: Es ist eine Gnade des Alters, nicht mehr alles verstehen zu müssen. Nehmen Sie Kärnten: Ich will gar nicht verstehen, was dort geschieht. Weil wer das versteht, muss ja auch irgendwie kaputt sein.

Standard: Es stört Sie nicht, etwas nicht zu verstehen?

Treiber: Es stört mich gerade noch.

Standard: Wie alt werden Sie sein, wenn es Sie nicht mehr stört?

Treiber: Stören wird es mich immer. So erkalten werde ich nicht.

Standard: Sie mögen auch den Wiener Dialekt so gern. Warum?

Treiber: I red praktisch nie Hochdeutsch, das wär' bei den Features, die wir gemacht haben, auch kontraproduktiv gewesen. Ich mag den Sprachwitz der Wiener so sehr. Wie unheimlich schwach ist doch die Schimpfwort-Auswahl der Deutschen. Denen fällt kaum was ein außer Scheiße und Arsch. Da hat der Normalwiener schon ein ganz anderes Repertoire. Ich wollt' übrigens auch nie woanders leben als in Wien. Die Stadt funktioniert und macht sich nicht über Gebühr wichtig.

Standard: Ein "Presse"-Redakteur nannte Sie den "typischen Wiener Grantler". Geehrt?

Treiber: Ich bin überhaupt kein Grantler. Aber vielleicht ein typischer Wiener, nur das Liebäugeln mit dem Tod ist mir ganz fremd.

Standard: Sie gehen auch nie auf Begräbnisse.

Treiber: Eh nicht. Weil ich lehne ja den Tod ab. Daher möchte ich auch nicht beim Zelebrieren des Ganzen dabei sein.

Standard: Worum geht's im Leben?

Treiber: Jo, eh.

(Renate Graber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.7.2010)