
Wenn aus dem Traumberuf nichts wird, bleibt vielen Jugendliche nur ein unterbezahlter Job im Dienstleistungssektor. Aus Arbeitsethos wird oft Verweigerung.
Grazer Forscher untersuchten, was sie bewegt, antreibt - und was sie resignieren lässt.
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Jana entspricht mit ihren 21 Jahren nicht gerade dem Idealbild der künftigen Schwiegertochter: abgebrochene Ausbildung, Drogenmissbrauch, U-Haft wegen eines Bagatelldelikts etc. Mittlerweile hat sie ein Kind und lebt im Gemeindebau. Und es gibt etwas, auf das sie stolz ist: Sie kann ausschließlich von staatlichen Fürsorgeleistungen leben.
Dabei ist Jana in einer Familie aufgewachsen, die trotz sozialen Abstiegs krampfhaft den Anschein mittelständischer Normalität zu wahren versucht. "Während die Eltern Schamgefühle über ihre Situation empfinden, versteckt Jana ihre Scham, indem sie sich den Behörden gegenüber als rational kalkulierende Akteurin präsentiert und so den Status der selbstverschuldeten Gescheiterten abwehrt", erklärt Gerlinde Malli. In ihrer Dissertation hat sie sich mit Jugendlichen aus unterprivilegierten Milieus beschäftigt, die als "fürsorgebedürftige Problemfälle" staatlich registriert sind. "Scham", sagt Malli, "wird von diesen Jugendlichen mit einem modernen Tabu belegt, um Demütigungen zu entgehen."
60 Tiefeninterviews mit 40 Grazer Jugendlichen haben Gerlinde Malli und ihre Kollegen Gilles Reckinger und Diana Reiners durchgeführt. Ihr Projekt Müssen nur wollen. Kulturwissenschaftliche Bestandsaufnahme sozialer Umbrüche in jugendlichen Lebenswelten wurde von der Akademie der Wissenschaften mit einem DOC-team Stipendium gefördert.
Ziel der am Grazer Institut für Volkskunde angesiedelten Studie unter Leitung von Elisabeth Katschnig-Fasch war es, die strukturellen Bedingungen für problematische Biografien von Jugendlichen aufzudecken. Ausgehend von Pierre Bourdieus monumentaler Sozialstudie Das Elend der Welt legte ein Forscherteam um Katschnig-Fasch 2003 eine Untersuchung für Österreich am Beispiel von Graz vor: Das ganz alltägliche Elend. Begegnungen im Schatten des Neoliberalismus. Die aktuelle Jugendstudie baut auf dieser Arbeit auf.
Migration und Statusverlust
Diana Reiners hat in ihrer Arbeit die Zukunftsstrategien jugendlicher Migranten und Migrantinnen angesichts der neoliberalen Umbrüche erkundet. Sie fand heraus, dass für Jugendliche, die selbst aus ihrem Heimatland nach Österreich gekommen sind, die Migration noch stark mit dem Bild eines besseren Lebens und einer großen Leistungsbereitschaft verbunden ist. In der Realität bedeutet Migration aber meist einen Statusverlust, weil erworbene Bildung und Berufsqualifikationen häufig nicht anerkannt werden. Für die Migranten der zweiten Generation verbindet sich diese Erfahrung der Eltern oft mit einem geringen Bildungserfolg aufgrund des österreichischen Schulsystems, verhinderten Aufstiegsmöglichkeiten und hoher Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig sind diese Jugendlichen mit einer traditionell sehr starken Familienorientierung inklusive gegenseitiger Verantwortung konfrontiert. Insbesondere auf Burschen lastet damit ein enormer Druck, möglichst bald eigenes Geld zu verdienen und so auch dem nachwirkenden Männlichkeitsbild der Herkunftskultur zu entsprechen.
Aus all diesen Gründen bleibt von der Arbeitsorientierung der Eltern häufig nicht mehr übrig als das Streben nach irgendeinem Einkommen. "Lässt sich gesellschaftliche Anerkennung ohnehin nicht erreichen, werden auch riskante Verdienstmöglichkeiten denkbar", sagt Diana Reiners. "Die Identifikation mit Arbeit als Mittel gesellschaftlicher Integration wird infrage gestellt, wenn über Generationen nur das unterste Segment des prekarisierten Arbeitsmarktes offensteht."
Gilles Reckinger befasste sich mit den verschlungenen Wegen bildungsbenachteiligter Jugendlicher in den Arbeitsmarkt. Eine seiner zentralen Erkenntnisse: "Die Jugendlichen können sich auch unter sehr unsicheren Bedingungen ein gewisses Arbeitsethos, eine Art Erinnerung an mittelständische Normen erhalten - sofern sie über entsprechende Vorbilder verfügen."
Wie zum Beispiel Georg, der als Kind mit seinen Eltern von Rumänien nach Österreich kam. Da er für seinen Wunschberuf Mechaniker keine Lehrstelle fand, wich er zunächst auf Kfz-Lackierer aus, kündigte nach der Lehre jedoch aus gesundheitlichen Gründen. Dem kurzen Intermezzo als Paketzusteller folgte der Berufswunsch Fernfahrer. Die Zeit bis zum dafür erforderlichen Alter von 21 überbrückte er mit prekären Jobs in der Grauzone zwischen Privatverkäufen und neuer Selbstständigkeit.
Schlechte Bedingungen
"Häufig weichen die Wunschberufe der Jugendlichen unsicheren, unterbezahlten Jobs im unteren Dienstleistungssegment", sagt Gilles Reckinger. "Für die Aufrechterhaltung ihrer Identität unter diesen Bedingungen ist die Bindung an den ursprünglich angepeilten Beruf aber noch immer zentral, auch wenn die Jugendlichen ihre Ziele nur mehr umkreisen und sie nicht mehr erreichen können."
Fazit der Studie: Ihre strukturelle Benachteiligung können die meisten dieser Jugendlichen trotz ihres Bemühens um Zukunftsstrategien nicht überwinden. "Oft wird sie sogar noch verstärkt, indem die jungen Menschen in die Rolle des handlungsmächtigen Akteurs schlüpfen, Arbeitslosigkeit als Arbeitsverweigerung deklarieren oder unsichere Beschäftigungsverhältnisse in Jobs ohne Bindung und Verantwortung uminterpretieren bzw. überhaupt in die Illegalität abrutschen", erklärt Reckinger.
Ihre Strategien zeugen von einer paradoxen Sozialisation in eine völlig ungeklärte soziale Position. Diese neue "Schicht des Prekariats" besitze zwar keine gemeinsame Kultur, doch in ihr spiegeln sich makrogesellschaftliche Entwicklungen wider: die Auflösung arbeitsrechtlicher Grundsicherung zugunsten von McJobs, Risiko und Spekulation als Alternative zur klassischen Lohnarbeit. Ein Phänomen, das sich allein aufgrund seiner wachsenden Verbreitung nicht mehr gut unter den politischen Teppich kehren lässt. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 14.07.2010)