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Was aussieht wie Torjubel, ist harte Arbeit.

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Alltag im "pit": Auf dem Börsenparkett regiert nicht nur der, der am lautesten schreien kann, sondern vor allem auch der, der die Handsprache beherrscht.

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Das heißt: Bear Stearns.

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Wenn viele Menschen mit verschiedenfärbigen Jacken sich auf begrenztem Raum zusammendrängeln, auf große Anzeigetafeln starren, schreien, ihre Hände manisch in die Höhe reißen und dabei wild gestikulieren, vielleicht auch ein bisschen Schubsen und dazwischen hin und wieder verzweifeln, dann ist man entweder in der Public Viewing Zone beim WM-Finale, oder auf einem der wenigen noch verbliebenen echten Börsenparketts.

Der Präsenzhandel ist eine gefährdete Art, so hat mittlerweile auch die Frankfurter Börse beschlossen, den Parketthandel mit April 2012 in den Ruhestand zu schicken - Aktien und Anleihen sollen dann komplett über das elektronische System Xetra gehandelt werden. Parkett ist ohnehin schon lange nicht mehr gleich Parkett. Die Frankfurter Börse ist von den filmreifen Szenen mit ohrenbetäubendem Geschrei schon lange weit entfernt. Vor allem an den Terminbörsen, wie zum Beispiel der Chicago Mercantile Exchange, dem Chicago Board of Trade oder der London Metal Exchange, wird aber noch nach alter Manier gehandelt.

"Open Outcry" heißt diese antiquiert anmutende Art der Preisbildung, wo Händler mittels Zuruf Schweinebäuche kaufen oder Sojabohnen verkaufen. Wenn sich aber mehrere hundert Händler die Seele aus dem Leib brüllen, Zahlen quer durch den Raum schreien, hinter denen sich oft ein kleines Vermögen versteckt, dann geht jedem einmal die Puste aus. Bleiben nur noch die Hände, die weithin sichtbare Signale geben können.

Rückgang gewiss

Mit dem Rückgang des Präsenzhandels rückt aber auch die Gesten-Sprache der Börsianer auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Sprachen. Vor zehn Jahren wurden an der Chicago Mercantile Exchange laut Berechnungen des Wall Street Journals 85 Prozent des Handelsvolumens am Parkett erledigt. 2010 sank der Anteil auf zwölf Prozent mit fallender Tendenz. Ein Umstand, den Ryan Carlson nicht so einfach hinnehmen will, und deswegen die Internet-Seite www.tradingpithistory.com ins Leben gerufen hat. Der Ex-Händler war jahrelang selbst an den Terminbörsen der Welt zu Hause. Nun sammelt er sein Wissen und auch das seiner Kollegen weltweit über die Handzeichensprache, zeigt sie mit Bildern versehen der Welt, damit die Gesten nicht in Vergessenheit geraten.

Die Handsignale sind keine genormte Sprache, die über ein Lexikon, eine Grammatik verfügt oder anderweitig verschriftlicht wurden. Auch nationale, regionale oder kulturelle Unterschiede gibt es. Carlson fokussiert vor allem auf die ihm bekannteste lingua franca, jene aus den Chicagoer Börsekreisen.

Kleine Zeichenkunde

So stehen mit kleinem Finger und Zeigefinger angedeutete Hörner für Merrill Lynch. Schließlich ist deren Logo ein Bulle. Um die Credit Suisse First Boston zu symbolisieren, deutet man mit einer Hand und elitär abgespreiztem kleinen Finger das Trinken einer Tasse Tee an - Stichwort: Boston Tea Party. Für Bear Stearns formt man mit der Hand eine Bärenklaue. Weniger etwas mit einem Logo, dafür mit der Historie, hat das angestammte Zeichen für die Deutsche Bank zu tun: Der Zeigefinger deutet einen sehr schmalen, kleinen Oberlippenbart an, das Vorbild hierfür ist Adolf Hitler. Political Correctness ist offensichtlich keine Voraussetzung, um in den Kanon der Zeichen aufgenommen zu werden.

Neben den Teilnehmern am Börsengeschehen braucht der Schrei-und-Zeige-Händler aber natürlich auch jede Menge Zeichen für Zahlen, für Monate, Jahre, für Puts und Calls. Carlson erweitert seine Seite kontinuierlich. Aus dem Wunsch nach Dokumentation erwuchs schließlich auch die Leidenschaft für die Vollständigkeit. Deswegen sammelt der ehemalige Börsianer Handzeichen aus aller Welt. Auf dass die verblassenden Zeichen auch in einem vollcomputerisierten Börsenzeitalter nicht verloren gehen. (Daniela Rom, derStandard.at, 18.7.2010)