Beim weltgrößten Kosmetikkonzern L'Oréal, der 2009 mehr als 18 Mrd. Euro Umsatz und 2,6 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern erzielte, könnte aufgrund des Bettencourt-Skandals eine größere Eigentümerverschiebung anstehen. L'Oréal gehört zu 30,8 Prozent Liliane Bettencourt, der einzigen Tochter von Firmengründers Eugène Schuller. Auch bekundet Bettencourt zunehmend Mühe, ihrer Rolle als Hauptaktionärin von L'Oréal gerecht zu werden. Ihre Tochter Françoise (57) verlangt sogar deren Entmündigung, weil sich ihre Mutter von ihren Freunden ausnehmen lasse.

Der Schweizer Nahrungsmittelmulti Nestlé hält bereits 29,6 Prozent der Anteile, und Bettencourt ist mit ihm in einem Aktionärspakt verbunden, welcher der jeweils anderen Partei ein Vorkaufsrecht für den Konzern mit 67.000 Mitarbeitern einräumt.

Das Abkommen läuft noch bis 2014. Wird Bettencourt bis dahin entmündigt, könnte Nestlé mit gut 60 Prozent die Kontrolle über den Kosmetikhersteller übernehmen. Pikant an der Sache ist, dass die Schweizer offenbar gute Beziehungen zu Tochter Françoise unterhalten: Ihr Gatte Jean-Pierre Meyers sitzt im Verwaltungsrat von Nestlé. Pariser Medien fragen sich, ob Françoise ihre Mutter nicht auch angreife, um die Bettencourt-Anteile ganz zu beziehen und sie an Nestlé abzutreten. Mutter Liliane hat ihren 30-prozentigen Aktienanteil zwar bereits an die Tochter vermacht, wahrt aber noch die Nutznießung und damit auch das Stimmrecht.

Nationale Handikaps

Mit einem Umsatz von 80 Milliarden Euro und einem Reingewinn von 7,7 Milliarden Euro im Vorjahr hätte der Nahrungsmittelriese Nestlé keine Mühe, sich den Goldesel L'Oréal einzuverleiben. Das Beispiel des britisch-holländische Konsumgütermultis Unilever zeige, dass die beiden Sparten - Nahrung und Kosmetik- durchaus vereinbar sind, meinen Beobachter. Außerdem meinen Marktexperten, dass Nestlé im Nahrungsmittelsektor eine mittlerweile so dominante Stellung erreicht hat, dass er gerne stärker in andere Bereiche diversifizieren würde.

Der Schweizer Multi Nestlé hat aber ein Handikap: Er ist nicht französisch. Und Staatspräsident Nicolas Sarkozy will verhindern, dass der "nationale Champion" L'Oréal in ausländische Hände gerät. Der Präsident kennt Liliane Bettencourt persönlich, seitdem er Bürgermeister ihres Wohnortes Neuilly-sur-Seine im Westen von Paris war, und hat aus ihrem Vermögen seit Jahren legale - und vielleicht auch illegale - Partei- und Wahlspenden erhalten.

Laut Tonbandaufnahmen hat Sarkozy der reichsten Französin - Bettencourt besitzt laut dem US-Magazin Forbes 14 Milliarden Euro - ausrichten lassen, er werde alles daran setzen, dass Nestlé über Tochter Françoise nicht zum Zug komme.

Sarkozy hat einige Druckmittel gegen den Westschweizer Konzern, für den Frankreich ein Hauptmarkt ist. Der Präsident schlägt sich für L'Oréal umso entschlossener in die Bresche, als er in der Bettencourt-Affäre selber unter Spendenverdacht steht und sich, um davon abzulenken, als Hüter der nationalen Interessen in Szene setzen will. Bei dem vehementen Widerspruch des Elysées muss sich die Nestlé-Direktion fragen, wie viel ihr L'Oréal wirklich wert ist.(Stefan Brändle, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 17./18.7.2010)