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Verfassungsrichter bei der Arbeit im Juni 2008: Wie stark ist die politische Loyalität im Hinterkopf?

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Wien - Gerhart Holzinger hatte des neuen Amtes noch keine Sekunde gewaltet, da wurde seine Vita bereits auf parteipolitische Spurenelemente seziert. In Studententagen war der designierte Präsident des Verfassungsgerichtshofes dem konservativen Cartellverband beigetreten, verrieten die Archive - an sich ein klarer Hinweis auf eine Nähe zur ÖVP. "Nix da" , widersprachen Sozialdemokraten energisch, verwiesen auf Holzingers spätere Karriere im Verfassungsdienst des (roten) Kanzleramts und rühmten sich, "einen von uns" an die Spitze des Höchstgerichts gehievt zu haben. Da konnte der Topjurist noch so hartnäckig auf seine "absolute politische Neutralität und Abstinenz" pochen.

Verkündet Österreichs Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein Erkenntnis, streifen die zwölf Mitglieder, der Präsident und seine Stellvertreterin ihre Talare über. Gleichheit soll die Tracht symbolisieren, und eine rechtsgläubige Unabhängigkeit von der eigenen Gesinnung. Doch unter den schwarzen Roben mit den Krägen aus Samt und Hermelin sehen Eingeweihte die Farben der großen Koalition hervorschimmern. "Seit der ersten Republik befindet sich das Verfassungsgericht im Würgegriff der Parteien", sagt Heinz Mayer, Dekan am Wiener Juridicum: "Unabhängige haben keine Chance."

Angesichts des Modus der Bestellung ist das kein Wunder. Die Regierung schlägt sechs Richter plus Präsident und Vize vor, den Rest bestimmen Nationalrat und Bundesrat. De facto packeln sich also die regierenden Parteien die Besetzung aus. In der politischen Szene ist es ein offenes Geheimnis, wer auf wessen Ticket ins Gericht eingezogen ist. Gemäß dieser Farbenlehre genießt die ÖVP derzeit ein Übergewicht, was jene Sozialdemokraten wurmt, die Holzingers Kür nicht als Coup, sondern taktischen Schnitzer sehen. Der Präsident kann auf Erkenntnisse nämlich nur informell Einfluss nehmen, aber nicht mitstimmen. Die Entscheidung fällen die zwölf Richter plus Vize - und da hat die ÖVP die Mehrheit.

Aber urteilen die Rechtsgelehrten deshalb automatisch gemäß der Parteilinie? "Wenn jemand weiß, wem er seinen Posten verdankt, wird er im Zweifel geneigt sein, dem Anruf eines Politikers zu folgen", sagt Mayer, räumt aber ein, dass sich diese Frage in 95 Prozent der Fälle nicht stelle. Wichtig sind Regierenden jedoch die politischen Causen, bei denen Wertentscheidungen getroffen werden. Tief gespalten habe den Gerichtshof etwa die Fristenlösung für Schwangerschaftsabbruch in den Siebzigern - nur die damalige rote VfGH-Mehrheit habe das Projekt gerettet, meint Mayer. Umgekehrt sah der Verfassungsrechtler eine konservative Schlagseite beim seiner Meinung nach "haarsträubend begründeten" Urteil von 2004 gegen das Wiener Ausländerwahlrecht.

Allerdings gibt es auch stockkonservative Rote und liberale Schwarze - weshalb andere Experten den Vorwurf der Liebedienerei für grob übertrieben halten. "Es kommt niemand hinein, der nicht das Vertrauen einer politischen Kraft hat" , gibt Ex-VfGH-Präsident Ludwig Adamovich zu, "doch dass die Richter deshalb wie ferngesteuerte Zinnsoldaten agieren, ist nicht wahr" . Oft genug würden, etwa bei der Familienbesteuerung, umstrittene Entscheidungen entgegen der proporzmäßigen Papierform gefällt. Überdies dienen Verfassungsrichter automatisch bis zum 70. Lebensjahr - im Laufe einer solchen Karriere können Regierungen mehrfach wechseln, womit einstige Mentoren von ihren Protegés ohnehin nicht mehr profitieren könnten. Adamovich selbst kam übrigens in den Gerichtshof, weil er einst Bruno Kreiskys Vertrauen gewonnen hatte; seine ÖVP-Mitgliedschaft gestand er seinen "Erfindern" erst später.

"Die Parteien wünschen sich devote Gefolgsleute, doch im Amt entwickeln die Richter ein Eigenleben", hat auch der Anwalt Alfred Noll beobachtet: "Sie halten sich nicht an parteipolitische Vorgaben, insofern ist der Proporz am Verfassungsgerichtshof eher sinnlos."

Für die inhaltliche Richtung der VfGH-Entscheidungen sei das rot-schwarze Farbenspiel "völlig wurscht", ist Noll überzeugt. Schädliche Folgen sieht er trotzdem, vor allem für die Politik selbst. Der Verfassungsgerichtshof biete Regierungen eine Spielwiese mehr, um Pfründe zu vergeben - wobei jene belohnt würden, die sich brav und stromlinienförmig verhielten. "Mit der juristischen Qualität hat die Auswahl oft nichts zu tun", meint der Anwalt: "Manche der Kandidaten hatten zuvor kaum in die Verfassung geschaut."

Mitunter tragen Verfassungsrichter freilich dazu bei, den Anschein der Empfänglichkeit für politische Lehen zu verstärken. Claudia Kahr ließ sich von SPÖ-Verkehrsministerin Doris Bures zur Aufsichtsratchefin des Straßenbetreibers Asfinag machen, Karl Korinek saß auch in seiner Zeit als (schwarzer) VfGH-Richter in den Aufsichtsräten von Uniqa und Erste-Stiftung - beide nahmen den Ruch der Unvereinbarkeit in Kauf.

An anderen Gerichtshöfen ist die (versuchte) Einflussnahme schwächer. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar auch einen rötlichen Chef und einen schwarz angehauchten Vize, doch den Rest der 68 Mitglieder kürt die richterliche Vollversammlung selbst.

Um den Verfassungsgerichtshof hingegen wird gegen Jahresende wieder politische Gezerre einsetzen. Herbert Haller, einziger Verfassungsrichter auf blauem Ticket aus der ÖVP-FPÖ-Zeit geht in Pension. Beide Koalitionsparteien wollen den Sitz wohl zurückerobern - was zur Chefsache werden könnte. Als Johannes Schnizer, einst Kabinettschef Alfred Gusenbauers, heuer Verfassungsrichter wurde, besiegelten Kanzler Werner Faymann und Vize Josef Pröll den Deal persönlich.(Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 20.7.2010)