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Jesse James ist nur einer von vielen prominenten Sexsüchtigen.

Foto: APA/Matt Sayles

Das Problem sucht nicht nur Prominente wie Jesse James, Tiger Woods oder David Duchovny heim. In den USA sind drei bis sechs Prozent der Bevölkerung von der Sexsucht betroffen und Schätzungen zufolge ist die Prävalenz im deutschsprachigen Raum ähnlich hoch. Beeindruckende Zahlen und dennoch hat die Sexsucht in den internationalen diagnostischen Klassifikationssystemen ICD 10 und DSMIV bislang keinen Einzug gefunden. Dort ist von gesteigertem Verlangen im Sinne einer Hypersexualität die Rede. Eine Diagnose, die hinkt, lässt sich doch die klassischen Kriterien jeder Suchterkrankung vermissen. „Mehrmals täglich Sex zu haben ist per se noch nicht krankhaft", so Friedrich Wurst, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II an der Christian Doppler Klinik in Salzburg.

Wann aber wird das Verlangen nach Sex pathologisch? „Sobald der Betroffene unter seinem permanenten Bedürfnis nach sexueller Aktivität zu leiden beginnt", so Wurst. Auf der Suche nach dem Kick verliert der Süchtige zunehmend die Kontrolle über sein Tun. Die sexuelle Befriedigung ist von kurzer Dauer und verlangt nach einer Erhöhung der Dosis. „Ich konnte meine Aufgaben im Beruf nur mehr eingeschränkt erfüllen. Die meiste Zeit habe ich damit verbracht im Internet auf Pornoseiten zu surfen und in den Nächten war ich auf der Suche nach neuen realen Eroberungen", erzählt der ehemalige Sexsüchtige Hans M.

Behandlungswürdige Erkrankung

Das World Wide Web wurde nicht nur M. zum Verhängnis. Der uneingeschränkte Zugang zu pornographischen Seiten ist an der globalen Verbreitung der Sexsucht unbestritten beteiligt. Zum regelrechten Hype wurde das Abhängigkeitssyndrom aber auch, weil immer mehr Promis öffentlich Abbitte leisteten. Mit den zahlreichen Bekenntnissen der Betroffenen ist auch das Interesse an der alles entscheidenden Frage gestiegen: Ist die Sexsucht eine behandlungswürdige Erkrankung oder aber eine faule Ausrede für notorische Schürzenjäger?

„Ohne mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, glaube ich, dass die Sexsucht als Erkrankung mittlerweile Akzeptanz findet", sagt der Salzburger Experte und unterstützt seine Behauptung mit den definierten Kriterien jeder Sucht. Kontrollverlust, Konsumzwang, Dosissteigerung, verdecktes Verhaltensmuster und Entzugssymptomatik zählen dazu. 

Da jedoch, anders als beim chronischen Alkoholabusus oder bei der Spielsucht, Sexualität ein natürlicher Trieb des Menschen ist, findet die Sexsucht als Erkrankung vermutlich besonders geringe Akzeptanz in der Gesellschaft. „Man kann nach allem und von allem süchtig werden", versucht Wurst zu erklären, warum auch die schönste Sache der Welt zum Suchtproblem werden kann.

Belohnungssystem verselbständigt sich

„Der psychopathologische Mechanismus dahinter, ist immer eine Depression", erklärt Kurt Seikowski, Vorsitzender der Gesellschaft für Sexualwissenschaft an der Universität Leipzig. Menschen die unter Depressionen leiden gelten demnach also besonders suchtgefährdet, verschaffen sich mit der Droge Sex zumindest kurzfristig einen Weg aus ihrer Depression. 

Neben diesem psychologischen Erklärungsmodell, gibt es aber noch eine ganze Reihe möglicher Ursachen, die für die Entwicklung einer Abhängigkeit mitverantwortlich gemacht werden. Neben genetischen, psychischen, gesellschaftlichen und drogenspezifischen Faktoren, sind unter anderem auch verschiedene Transmittersubstanzen und Rezeptoren im Gespräch. Konkret setzt Suchtverhalten im Zentrum des Gehirns, dem sogenannten Belohnungssystem an. Diese anatomische Struktur wird auch ohne den Konsum von Suchtmitteln aktiviert. Körpereigene Drogen, Endorphine werden dort durch Stimulation von außen produziert. So kann auch gutes Essen einen Rauschzustand erzeugen.

„Man darf davon ausgehen, dass es zu einer Verselbständigung dieses Belohnungssystems kommt, bei der Sexsucht wie bei anderen Suchterkrankungen auch", so Wurst. So geschehen bei Hans M., dessen Leben in einer Zweierbeziehung sich mit dem Fortschritt der Erkrankung zunehmend schwieriger gestaltete. Nicht nur, weil er in der virtuellen wie in der realen Welt permanent nach sexueller Befriedigung suchte, sondern auch, weil sein Bedürfnis den eigenen Partner zu kontrollieren ebenfalls zur Sucht wurde.

Psychotherapie und Anonyme Sexaholiker

„Ich bin ein Suchtmensch durch und durch und seit Jahren auch Mitglied der Anonymen Alkoholiker", so der ehemalige Sexsüchtige. Mit dem 12-Schritte Programm der Anonymen Sexaholiker hat sein Leiden ein Ende genommen. M. ist seit zwei Jahren trocken. 

„Computer sperren und Menschen ins Vertrauen ziehen, um der Schuldenfalle, die mitunter auch droht, zu entgehen", beschreibt Seibowski erste wichtige Maßnahmen, um sich von der Sexsucht zu befreien. Ansonsten wird das Problem vor allem psychotherapeutisch behandelt und das laut Wurst mit großem Erfolg. (derStandard.at, 19.8.2010)