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Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag

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Der kosovarische Premier Hashim Thaçi traf in Washington den US-Vizepräsidenten Joe Biden.

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Für den serbischen Außenminister Vuk Jeremić ist das Gutachten eine Niederlage.

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Den Haag – Der Kosovo hat vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag einen wichtigen Erfolg verbucht: Die Ausrufung seiner Unabhängigkeit am 17. Februar 2008 hat das "allgemeine internationale Recht nicht verletzt", stellte der Präsident des Internationalen Gerichtshofs (IGH), Hisashi Owada, am Donnerstag bei der Verlesung des IGH-Rechtsgutachtens zur Unabhängigkeit des Kosovo fest. Diesen Spruch sollen zehn der insgesamt 15 IGH-Richter unterstützt haben. Für den Kosovo besteht nun die Hoffnung, dass er von weiteren Staaten anerkannt wird.

Auch die Uno-Sicherheitsrats-Resolution 1244 von 1999, die nach wie vor gilt, sei nicht verletzt worden. Serbien selbst hat den Gerichtshof aufgefordert, das Gutachten zu verfassen. Die Regierung in Belgrad stand bisher auf dem Standpunkt, dass die Unabhängigkeitserklärung dem Völkerrecht widerspreche. Owada betonte aber nun, dass es im Völkerrecht kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen gibt.

"Ich erwarte mir, dass Serbien zu uns kommt und mit uns über viele Themen von wechselseitiger Wichtigkeit spricht", sagte der kosovarische Außenminister Skender Hyseni nach dem Urteil.

Als das Urteil bekannt gegeben wurde, brach in Prishtina große Freude aus. Autohupen war zu hören, Feuerwerkskörper zu sehen, so als hätten die Kosovaren die WM gewonnen. In Belgrad hatte man hingegen große Mühe, das Gutachten zu interpretieren. Denn dieses war unerwartet klar: "Steht die einseitige Unabhängigkeitserklärung in Einklang mit dem internationalen Recht?", hatte Serbien den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag im Vorjahr gefragt. Das "allgemeine internationale Recht wurde nicht verletzt" stellte, der Präsident des IGH, Hisashi Owada, am Donnerstag fest. Zehn der insgesamt 15 IGH-Richter sollen zu diesem Schluss gekommen sein. Einsprüche gegen das Urteil sind nicht möglich.

Die kalte Dusche für die Serben, die die Verlesung des Gutachtens im Fernsehen live verfolgten, kam nach umständlichen juristischen Erklärungen und Begründungen. Owada erklärte, dass dem Gericht nicht die Frage gestellt worden sei, wie es mit der Sezession an sich, oder der Legalität des kosovarischen Staates stehe, und dass sich der IGH deshalb darüber auch nicht äußern werde. Ein Meinung über Selbstbestimmung oder eine Notsezession sei "nicht Domäne des IGH gewesen" . Dies sei außerhalb der gestellten Frage.

In der Erklärung des Gerichts, die Sezessionsfrage an sich nicht beantwortet zu haben, sahen serbische Spitzenpolitiker die Möglichkeit, den diplomatischen Untergang in Den Haag in eine Etappenniederlage zu verwandeln. "Die Entscheidung des IGH ist schwer für Serbien", erklärte Präsident Boris Tadić ernsthaft. Doch der IGH habe sich über die Frage der Sezession gar nicht geäußert, und habe so die politische Entscheidung über den Kosovo der UN-Generalversammlung im Herbst überlassen.

"Viele Staaten werden nun unter dem Druck stehen, den Kosovo noch vor der Abstimmung in der UN-Generalversammlung anzuerkennen. Serbien wird alles in seiner Macht stehende tun, um das zu verhindern", sagte Tadić, und äußerte die Hoffnung, dass die Generalversammlung die serbische Kosovo-Resolution annehmen wird, die Belgrad und Prishtina zur Wiederaufnahme der Verhandlungen aufruft. Er betonte abermals, dass Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo nie und nimmer anerkennen werde. Bisher haben 69 von 192 UN-Mitgliedsstaaten den Kosovo anerkannt.

Kampf fortsetzen

Außenminister Vuk Jeremić erklärte nach dem Urteil, dass Serbien den "friedlichen und diplomatischen Kampf für den Kosovo" fortsetzen werde. Er meinte, dass sich der IGH "lediglich im technischen Sinne" über die Unabhängigkeitsdeklaration geäußert habe, und somit die "wesentliche" Frage umgangen hätte, ob der Kosovo das Recht hatte, zu versuchen, sich vom Mutterland abzuspalten. Der IGH werde das Gutachten nun der UN-Generalversammlung zuschicken, sagte Jeremić, und dort werde darüber abgestimmt, ob Serbien mit seiner Kosovo-Politik Recht habe.

Einzelne serbische Journalisten stellten aber schon die Frage, ob sich die serbische Diplomatie mit einer "falschen" Fragestellung nicht ein Eigentor vor dem IGH geschossen hätte. Belgrad rief die im Kosovo lebenden Serben jedenfalls auf, Ruhe zu bewahren und auf "keine Provokationen" zu reagieren. Rund eintausend Serben protestierten Donnerstagabend in der serbischen Enklave Mitrovica.

Die Meinung des Gerichts ist zwar nicht bindend, doch von weitreichender Bedeutung. Der Druck einiger EU-Staaten auf Serbien, wird größer werden in der Kosovo-Frage eine pragmatischere Haltung einzunehmen. Einige EU-Staaten wie etwa Österreich und die USA zeigten sich ja nachdrücklich unzufrieden mit den Plänen Belgrads, neue Statusverhandlungen anzustreben. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger sieht nun die Richtigkeit der österreichischen Entscheidung, den Kosovo als unabhängiges Land anzuerkennen, durch das IGH-Gutachten bestätigt, warnt aber vor Triumphrufen.

Für Prishtina ist das Urteil ein echter Sieg. Außenminister Skënder Hyseni erwartet sich als Konsequenz weitere Anerkennungen (siehe Interview). Schon vor der Verkündung des Gutachtens war die Stimmung auf der Seite des Kosovo. In Serbien rief die orthodoxe Kirche zwar zum Gebet auf, der Dinar rasselte aber am Donnerstag in den Keller.

Die Stellungnahme des Gerichts könnte Auswirkungen auf separatistische Bestrebungen in der Welt haben. Russland hat die abtrünnigen georgischen Regionen Süd-Ossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkannt, jedoch sind nur wenige andere Staaten diesem Schritt gefolgt. Spanien hat bereits klargestellt, den Kosovo nicht anerkennen zu wollen. (von Andrej Ivanji und Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 23.7.2010)