
Daniel Glattauer und sein Neffe Theo. Hier dreht Theo den Spieß um und interviewt den Onkel.
Die Kinder der Mediengeneration haben es nicht leicht. Kaum dass sie frei gehen können und noch lange, bevor sie verbal in der Lage wären, sich gegen ihre Vereinnahmung zur Wehr zu setzen, müssen sie schon für die Selbstdarstellung ihrer Eltern herhalten.
Pointenreich werden die kleinen Quälgeister in Kolumnen der Lächerlichkeit ihrer hippen Eltern preisgegeben oder von ihren Vätern, die sich gerne als tollpatschige, um Lesersympathien heischende Ritter der Windelmühlen zeigen, in Selbsterfahrungsbüchern auf den Markt geworfen. Dass hier unter dem Vorwand der saloppen Erziehungsteilung erst recht wieder am konservativen Bild der Geschlechterrollen gemalt wird, ist ein anderes Thema.
Können sie erst einmal sprechen, werden die Kinder in einem prekären Arbeitsverhältnis von ihren schreibenden, bloggenden Erzeugern als Gag-Lieferanten ausgebeutet. Man darf gespannt sein, wann hier die ersten Urheberrechtsklagen auftauchen.
Es gibt aber auch einen Glückspilz unter diesen unfreiwillig früh im medialen Rampenlicht stehenden Kindern: Theo hat keine öffentlichkeitsehrgeizigen Eltern, sondern einen Onkel, der schreiben kann. Einen Onkel, der als Journalist einen respektvollen Umgang mit seinen lebenden Rechercheobjekten pflegte. Der sich 1995 mit noch viel größerem Respekt seinem neugeborenen, zweieinhalb Kilo schweren Neffen nähert. "Wie wäre es, einen Menschen zu beschreiben, der gerade erst begonnen hatte, ein solcher zu sein. Und ein Jahr später wieder, da wäre er dann schon wirklich wer ..." , schrieb der damalige Standard-Redakteur Daniel Glattauer in seinem ersten Theo-Porträt hier im ALBUM.
"Fefamü" ist Pfeffermühle
Und so geschah es: Zwölf Porträts folgten diesem ersten in den ALBUM-Weihnachtsausgaben, und eine immer größere Fangemeinde begleitete Theos Entwicklungsschritte. Wir hörten, nicht ohne den Stolz der Eltern und des Onkels zu teilen, Theos erste Worte, darunter höchst anspruchsvoll "Fefamü" für Pfeffermühle. Wir durften Jahr für Jahr miterleben, wie ein quietschfideles, aufgewecktes Kind groß wurde. Wir gingen mit Theo "Billa einkaufen" , fuhren mit auf Campingurlaub nach Bibione, freuten uns mit ihm über Nachwuchs im Meerschweinchenstall, später über gute Schulnoten und viele Tore für den SC Mauerbach.
Daniel Glattauer, der seit seinem Bestseller-Roman Gut gegen Nordwind ein vielsprachiges Millionenpublikum erreicht und seinen Job im Standard zum großen Bedauern der begeisterten Leserschaft seiner "dag" -Glossen inzwischen ruhen lässt, ist mit seiner Porträt- und Interviewserie, die nun mit den Geschichten Theo und der Rest der Welt aus dem Jahr 1997 als Buch bei Deuticke vorliegt, ein ebenso großartiges wie einzigartiges literarisches Projekt gelungen.
Dass dieses Projekt, Theos Kindheit in Literatur zu bannen, anders, besser geworden ist als vergleichbare Versuche, das Leben (eigener) Kinder journalistisch oder literarisch aufzuzeichnen, dass Glattauers Literaturprodukt Theo in seiner Subjektivität objektiv und allgemeingültig, dabei so authentisch, persönlich und liebenswürdig geworden ist, hat mehrere Gründe. Manche verantwortet der Autor, andere sein Protagonist. Glattauer sieht Theo von Beginn an mindestens als gleichwertigen Partner. Er nimmt schon den im Brutkasten liegenden Winzling für voll und nähert sich ihm mit Liebe und Ehrfurcht.
Jährliche Interviewtermine
Und das Wichtigste: Der Schriftsteller Glattauer ist gewissenhaft und flexibel in der Rolle des Dichters, der sich in den Dienst seiner Geschichten stellt und nicht umgekehrt. Er verändert sich mit seinem Titelhelden weiter, bereitet sich gründlich auf die jährlichen Interviewtermine vor, überlässt ihm Schritt für Schritt, Jahr für Jahr, immer mehr Gestaltungsmacht und Freiraum. Theo wird in keine Geschichten gezwängt, Theo ist die Geschichte.
Und Theo ist eine schöne, optimistische, eine witzige und spannende Geschichte - nicht nur für Eltern, bei denen die Lektüre Vorfreude auf die nächsten Schritte der eigenen Kinder schürt. Theos Geschichte erscheint manchmal wie mit Zeitraffer erzählt, so viel passiert in einem Jahr.
Eben noch entwickelte Theo listige Strategien der Auflehnung gegen das unbegreifliche elterliche "Nein!" , und schon kurz darauf begrüßt den Leser ein wacher, selbst- und medienkritischer Interviewpartner, der mit seinen klugen Antworten selbst gestandenen Philosophen etwas zum Kiefeln gibt und seine Rolle als Zeitungsstar souverän einzuschätzen gelernt hat. Theo ist prominent, er wird auf der Straße erkannt, und er hat sich aus seinem Ruhm das Beste herausgeholt. Er besitzt ein erstaunliches Einfühlungs- und Urteilsvermögen. Er ist, wie übrigens die meisten Gymnasiasten in seinem Alter, cool, tough und gelassen.
Als sich Theo 2007 13-jährig (vorerst) von seinem Publikum verabschiedete und den Rückzug ins Privatleben antrat, konnten wir beruhigt sein. Solange solche Kinder groß werden, brauchen wir uns um die Zukunft keine großen Sorgen zu machen. (Isabella Pohl, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 24./25.07.2010)