Herbert Knaup als Eichmann im ARD-Film "Eichmanns Erde"

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Regisseur Raymond Ley

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STANDARD: So starr beamtisch wie Eichmann in den Filmdokumenten des Prozesses ist, wirkt Herbert Knaup im Film nicht. Warum wollten Sie sich nicht an das eingestanzte Bild halten, das die Öffentlichkeit von Eichmann hat?

Ley: Eichmann hat sich im Prozess ja selbst als schwach inszeniert und somit unser Bild von Befehlsempfänger Eichmann, vom Schreibtischtäter geprägt. Ich hatte für "Eichmanns Ende" zudem keinen strikten Naturalismus im Sinn. Die physische Kraft, die Herbert Knaup in die Figur gibt, hat Eichmann so nicht gehabt. Der tiefe Schrecken aber, der Eichmann innewohnt, zeigt sich in seinen Äußerungen. Eichmann war ein dürrer Charakter, ein fanatischer Antisemitist und wahnsinniger Rassenhasser. Eichmann saß bei den Gesprächen mit Willem Sassen zudem jemandem gegenüber, den er sehr bewunderte. Er wollte brillieren, Sassen "gefallen". Eichmanns Borniertheit und seine Rechtfertigungsgelüste setzt der Film und Knaup sehr gut um.

STANDARD: Wie sind Sie bei der Auswahl der Protokolle für die Dialoge vorgegangen?

Ley: Ich habe darauf geachtet, dass Eichmann sich in den Dialogen widerspricht. Manchmal gibt er alles zu, dann sagt er wieder, er habe nicht gewusst „was mit diesen Menschen geschah". So konstruiert, so widersprüchlich, wie es hier erscheint, ist auch Eichmanns Gedankenwelt. Er sagt z.B.: „Warum wurden die Alliierten Bomberpiloten nicht angeklagt? Sie haben doch auch nichts anderes gemacht. Ich habe doch auch n u r die Juden an die Bahnhöfe transportiert! Mehr nicht!" Das ist die Abwesenheit von Verstand, Güte und Menschlichkeit. Er spricht davon, dass der Lagerleiter Höß in Auschwitz „100.000 Einheiten" zu verwalten hatte. Er reduzierte Menschen auf Einheiten, nummerierte sie.

STANDARD: Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Ley: Bei der Recherche für den Film Die Kinder von Blankenese stieß ich auf die Abschriften des Eichmann/Sassen-Interviews. Ich musste dieses Interviews dann komplett durcharbeiten, thematisch strukturieren, auch um ein Porträt Eichmanns, eine Handlungsanleitung seines Denkens, erstellen zu können. Mit Bandwurmsätzen versucht Eichmann die eigene Bedeutung zu „heben" und sich zugleich als „kleinen Befehlsempfänger" zu stilisieren. Eichmann verstrickt den Zuhörer, den Leser, auch den „Kamerad" Sassen, in seine Gedankenwelt. Aber wenn sich einmal der Nebel der Eichmannschen Redemaschinerie lichtet - und das geschieht oft - konnten wir in den Abgrund eines dienstbeflissenen, wie kranken Denkens schauen. Erst nach diesen Vorarbeiten fuhr ich zur Recherche nach Israel, Argentinien und England.

STANDARD: Silvia Hermann wollte nicht sprechen?

Ley: Wir hatten persönlich Kontakt, und sie wollte sich nicht erklären. Sie gab dazu keine Begründung ab. Ihr Vater wurde ja nach der Entdeckung Eichmanns 1960 mit Morddrohungen überzogen. Es kann sein, dass sie aus diesen Erfahrungen heraus, jede Stellungnahme zu ihrer Geschichte verweigert.

STANDARD: Hatten Sie Kontakt zu Eichmanns Sohn Nick?

Ley: Ja. Ich habe ganz kurz mit ihm über Silvia gesprochen. Klaus „Nick" Eichmann ist ein sympathischer älterer Herr. Er sprach mit sehr viel Wärme über Silvia. Die Eichmann-Söhne geben ansonsten keine Interviews. Es war für uns wichtig, dass die Geschichte - die Begegnung zwischen Nick und Silvia - von dieser Seite nochmals bestätigt wird.

STANDARD: Den Stoff als Dokudrama zu machen, war von Anfang an klar?

Ley: Er eignet sich sehr dafür. Die Eichmann/Sassen-Interviews sind ja eine klassische Vorlage für ein starkes archivgestütztes Stück Doku-Drama. Die Geschichte hat zudem Kinoqualitäten und diese braucht man auch im Fernsehen.

STANDARD: Zu Eichmanns Ende gehören - weiter gefasst - auch Flucht aus Deutschland, sein Leben in Argentinien, wie er aufgespürt und schließlich entführt wurde: War in irgendeiner Phase ein Mehrteiler geplant?

Ley: Nein, überhaupt nicht. Unser Film bezieht sich weniger auf die Entführung 1960, sondern spielt in der Zeit zwischen 1956 und 1957. Alles andere ist hinreichend erzählt worden. Vielen Leuten ist immer noch unbekannt, wie es zu der Verbindung zwischen Lothar Hermann und Fritz Bauer kam. Dass sich zwei Juden um den Verbleib von Eichmann kümmerten - der eine in Argentinien, der andere in einer mit Alt-Nazis durchsetzten deutschen Nachkriegsbehörde. Männer, wie Hermann, Bauer und natürlich Simon Wiesenthal haben die Suche nach Eichmann nie aufgegeben.

STANDARD: Wie sind Sie an die Bänder gekommen?

Ley: Die Bänder liegen im Bundesarchiv in Koblenz. Das ist kein Problem, da können Sie hinfahren und kriegen die Abschriften auf den Tisch und mit ein bisschen Nachfragen auch die Bänder.

STANDARD:  Wie erging es Ihnen beim Lesen der Abschriften, Tonbänder zu hören

Ley: Wenn man die Akten öffnet, sollte man wissen, was man tut, ansonsten könnten einen Details „verletzten". Ich bemerkte, dass, wenn ich keine Distanz zum Eichmann-Material aufbaute, dass mich seine Grausamkeiten und Widerlichkeiten trafen. Wenn es eine Hölle gibt, dann funktioniert sie in Eichmanns Kopf. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 24./25.7.2010)