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"Löscht sie alle aus. Geht schon, feuert": Dieser Videoausschnitt von einem US-Apache-Hubschrauber, in Bagdad im Juli 2007 gemacht, zeigt den Angriff auf elf Zivilisten. Das Video wurde von dem US-Soldaten Bradley Manning auf die Internetplattform Wikileaks gestellt.

Foto: AP

Wikileaks bietet sich als Internetplattform an, um Missstände aufzuzeigen. Mit der Veröffentlichung der Afghanistan-Protokolle wird das anonyme Postfach in Melbourne aber nun zu einem politischen Player.

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Mit der Veröffentlichung von rund 92.000 Dokumenten über den Afghanistan-Krieg hat die Aufdecker-Plattform Wikileaks die Büchse der Pandora geöffnet und gibt den Blick frei auf ein düsteres Bild der Lage und des Einsatzes am Hindukusch. Gründer Julian Assange erklärte dem Spiegel: "Das Material wirft ein Schlaglicht auf die alltägliche Brutalität und das Elend des Krieges. Es wird die öffentliche Meinung verändern - und auch jene von Menschen mit politischem und diplomatischem Einfluss."

Assange wies die Kritik der USA zurück, die Veröffentlichung gefährde das Leben der in Afghanistan stationierten Soldaten. "Das gesamte Material ist mehr als sieben Monate alt. Insofern hat es für gegenwärtige Militäroperationen keine Konsequenzen."

Die brisanten Unterlagen waren Wikileaks von unbekannter Seite zugespielt worden. Die Non-Profit-Organisation wiederum gab das Material vor wenigen Wochen an das Nachrichtenmagazin Spiegel sowie die New York Times und The Guardian weiter. Die drei Medien kamen nach eingehender Prüfung zu dem Schluss, dass die Dokumente authentisch seien und berichteten am Sonntag auf ihren Internetseiten zeitgleich über die Enthüllungen.

Seit ihrer Gründung 2006 stellt Wikileaks brisante Dokumente aus anonymer Quelle auf ihrer Whistleblower-Plattform (engl. für Hinweisgeber) an den Internetpranger, um Missstände aufzuzeigen. Hinter dem Projekt steckt eine Non-Profit-Organisation namens The Sunshine Press, über die ebenso wenig bekannt ist wie über die Macher.

1000 freiwillige Aufdecker

Fünf ehrenamtliche Mitarbeiter und 800 bis 1000 Freiwillige, vom Informatiker bis zum Journalisten, überprüfen das Material so gut wie möglich auf seine Authentizität. Sie sorgen dafür, dass sich bei der Veröffentlichung in den Dateien keine Informationen zur Herkunft wie das Erstellungsdatum mehr zu finden sind. Die Helfer kennen sich untereinander nicht mit echtem Namen, die Kommunikation findet über verschlüsselte Chats statt. Lediglich der australische Wikileaks-Gründer Julian Assange und ein Deutscher, der sich Daniel Schmitt nennt, vertreten die Internet-Enthüller in der Öffentlichkeit. Die einzige Postadresse ist ein anonymes Postfach an der Universität von Melbourne.

Robin Hood des Internets

Nach Ansicht von Assange, der sogar in den eigenen Reihen wegen seines Geltungsdrangs umstritten ist, trage die Arbeit von Wikileaks dazu bei, dass die Welt besser werde. "Großherzige Menschen schaffen keine Opfer, sie kümmern sich um Opfer", erläutert der 39-Jährige mit schlohweißem Haar seine Motive. "Ich selbst bin ein eher kämpferischer Typ. Zu meinen Stärken gehört nicht unbedingt Fürsorge. Man kann sich auch um die Opfer kümmern, wenn man die Täter verfolgt."

In die Kategorie "Täter" fallen für Assange besonders die Militärs, die in Konflikten unbeteiligte Zivilisten töten. Großes Aufsehen erregte Wikileaks im April dieses Jahres mit der Veröffentlichung des Bordvideos eines amerikanischen Kampfhubschraubers aus dem Jahr 2007. In dem Video aus Bagdad war deutlich zu sehen, wie elf zivile Passanten aus dem Hubschrauber heraus erschossen wurden. Anfang Juli erhob das US-Militär Anklage gegen den 22-jährigen Bradley Manning. Dem in Bagdad stationierten Soldaten wird zur Last gelegt, das Video publik gemacht zu haben. Wikileaks unterstützt Manning, betont aber, kein Wissen über seine Quellen zu besitzen.

Das Projekt finanziert sich durch Spenden. Die Kosten für Verwaltung und Server belaufen jährlich auf etwa 200.000 Dollar. Das nötige Geld aufzubringen fällt der geheimnistuerischen Organisation schwer. Ihr jüngster Coup dürfte den Bekanntheitsgrad massiv erhöhen und könnte helfen, die Finanzierung für die nächsten Jahre sicherzustellen.

Ähnlichkeit beabsichtigt

Dass der Name an Wikipedia erinnert, ist gewollt. Zum einen ähnelt der Internetauftritt optisch der Online-Enzyklopädie; zum anderen kann wie bei dem großen Mitmachlexikon jeder etwas veröffentlichen. Bei Wikileaks geht es speziell um geheime Dokumente - das englische Wort "leak" bedeutet: undichte Stelle. (kat, dpa/DER STANDARD, Printausgabe, 27.7.2010)