Maciej Miezian (46), Kunsthistoriker, Leiter des Museums "Die Geschichte Nowa Hutas", lebt in Krakau.

Foto: Standard/Mörtl

Sozialismus-Nostalgie, eine gut organisierte "Rentnermafia" und Schattenwirtschaft prägen das Leben im heutigen Nowa Huta, sagt der Kunsthistoriker Maciej Miezian im Gespräch mit Ute Mörtl.

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STANDARD: An welche Zielgruppe wendet sich das Museum Die Geschichte Nowa Hutas?

Miezian: Hauptsächlich an polnische Schülergruppen. Nowa Huta erweckt Interesse bei all jenen, die in das kommunistische Leben eintauchen möchten. Denn hier ist die polnische Geschichte in eine kompakte Form gepresst.

STANDARD: Was sind die Eigenheiten der Polen, die sich in Nowa Huta widerspiegeln?

Miezian: Die meisten Polen sehnen sich nach alten sozialistischen Zeiten. Einen Polen interessiert weniger, ob er was besitzt, sondern vielmehr, ob der Nachbar das auch nicht hat. Bis heute sind viele Polen davon überzeugt, dass Geschäftsleute prinzipiell stehlen (lacht). Und dann wäre da noch die Eigenheit, dass in Polen nichts zu Ende geführt wird, wie in Nowa Hutas vielerorts zu erkennen.

STANDARD: Wie einflussreich ist die ältere Generation?

Miezian: Die Stadt wurde in den 1950er-Jahren erbaut und mit durchschnittlich 20-jährigen Arbeitern besiedelt. Heute beläuft sich das Alter der Einheimischen im Mittel auf 70. Die Wahlbeteiligung der Älteren ist höher als jene der jungen Generation. Die "Rentnermafia" ist zudem so gut organisiert, dass die Altvorderen ihre Meinung durchsetzen. Die Pensionisten blockieren beispielsweise die Errichtung von Kneipen.

STANDARD: Sind die Jugendlichen aus Nowa Huta desillusionierter als jene aus Krakau?

Miezian: Vor kurzem wurde der letzte Klub für Jugendliche nach Protesten geschlossen. Die Gastronomie im historischen Teil besteht aus einer Milchbar, der Bar Tropicana und dem Restaurant Stylowa.

STANDARD: Ist das LaŸnia-Nowa-Theater ein kultureller Impulsgeber für Nowa Huta?

Miezian: Das neue Theater ist ein interessanter Ort, aber wo sollen insbesondere die Jugendlichen die Veranstaltungen ausklingen lassen?

STANDARD: Auch Nachbarschaftshilfe hat einen hohen Stellenwert.

Miezian: Gute Beziehungen zum Nachbarn waren in Polen schon immer sehr wichtig, da während des Kommunismus das Warenangebot in den Läden dürftig war. Durch den regen Tauschhandel im Treppenhaus und intensive Nachbarschaftshilfe fungierten die Wohnparteien als autarke Gemeinschaft. Die Haustüren in Nowa Huta waren nie abgesperrt.

STANDARD: Gibt es Auswege aus der Arbeitslosigkeit?

Miezian: Dass jemand offiziell arbeitslos ist, bedeutet nicht, dass er nicht arbeitet. Rund 70 Prozent der Gewinne von Nowa Huta werden in der grauen Zone erwirtschaftet.

STANDARD: Wohin orientiert sich Nowa Huta wirtschaftlich?

Miezian: Der Hauptzweig der sozialistischen Industrie war die "Produktion von Arbeitern" . Heute arbeiten nur noch rund 5000 Mitarbeiter bei Arcelor Mittal. Die ökonomische Zukunft der Stadt ist ungewiss.

STANDARD: Wo pulsiert Nowa Huta?

Miezian: In Krakau auf dem Hauptplatz und in den Kirchen sonntags beim Gottesdienst (lacht). (DER STANDARD, Printausgabe, 27.7.2010)