Archangelsk/Stockholm/Anchorage - Auf die immer leichter zugänglich werdende Arktis setzt derzeit der reinste Wettlauf ein - entscheidendes Motiv dafür dürften die dort vermuteten Bodenschätze, vor allem Erdöl und Erdgas, sein. Mit einer Expedition bisher ungekannten Ausmaßes will Russland seine Gebietsansprüche rund um den Nordpol untermauern. Vergangenen Mittwoch brach das Forschungsschiff "Akademik Fjodorow" mit 67 Experten an Bord im russischen Eismeerhafen Archangelsk zu einer Polarmeerfahrt auf, die insgesamt 85 Tage dauern soll. Der Arktis-Berater von Präsident Dmitri Medwedew, Artur Tschilingarow, bezeichnete das Unterfangen in einer Aussendung als "historisch".

An Bord des Schiffes befinden sich dem russisch-norwegischen Portal "barentsobserver" zufolge neben Wissenschaftern der wichtigsten russischen Forschungsinstitutionen auch Vertreter von Erdöl- und Erdgasunternehmen. Das Forschungsschiff wird vom dem atomgetriebenen Eisbrecher "Jamal" begleitet. Im Zuge der Expedition soll auch ein geeigneter Standort für eine neue russische Polarbasis ausgemacht werden.

Russland beansprucht weite Teile des Polarmeeres - rund 1,2 Millionen Quadratkilometer inklusive des geografischen Nordpols der Erde - für sich. Dazu gehören auch zwei Unterseegebirge, der Lomonosow- und der Mendeleew-Rücken, die Russland als Teile des Eurasischen Kontinents ansieht: Die aktuelle Expedition soll durch Daten belegen, dass der Meeresboden eine direkte Fortsetzung des zu Russland gehörenden Festlandsockels ist. Dänemark argumentiert dagegen, der Lomonosow-Rücken sei geologisch eine unterseeische Fortsetzung Grönlands. Grönland ist weitgehend autonom, völkerrechtlich jedoch Teil Dänemarks. Laut Tschilingarow will Russland bereits im kommenden Jahr einen neuen Antrag an die UNO-Kommission über die Grenzen des Kontinentalsockels über die Ausdehnung seiner Territorialgewässer stellen. 

Die Konkurrenz

Indessen beginnen auch Wissenschafter aus den USA und Kanada am Montag eine Expedition zur Vermessung des arktischen Meeresbodens. Von den Ergebnissen der auf fünf Wochen angesetzten Arbeiten erwarten beide Länder Aufschluss darüber, wie weit nach Norden sie ihre Souveränität auf Regionen ausdehnen können, in den große Vorkommen an Öl, Erdgas und anderen Rohstoffen vermutet werden. Die Wissenschafter ans Ziel bringen sollen zwei mächtige Eisbrecher, die am Montag von Häfen in Alaska und in Kanada aus in See stechen werden.

Gemäß der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen haben Küstenstaaten die Hoheit über einen 370 Kilometer breiten Küstenstreifen und dürfen diesen auch wirtschaftlich nutzen. Sie können diesen Streifen vergrößern, wenn sie die Existenz eines darüber hinausgehenden Festlandssockels beweisen, wie die Geologische Gesellschaft der USA (USGS) erklärte. Die exakte Festlegung von Seegrenzen ist angesichts der Klimawandels von besonderem Interesse, da der Temperaturanstieg die Ausbeutung bisher nicht erreichbarer Vorratsstätten möglich macht. Das unterstrichen im Jahr 2007 russische Forscher, als die mit einem Kleinst-U-Boot in 4.300 Metern Tiefe am Nordpol die Flagge ihres Landes setzten. Russland hat mehrere, allerdings umstrittene Souveränitätsansprüche in der Region erhoben.

Auch zwischen Kanada und den USA ist der exakte Verlauf ihrer Seegrenze umstritten. Auch in dieser Frage warten beide Länder mit Spannung auf die Ergebnisse der Expedition. Für die Wissenschafter ist der Debatte über Grenzen aber nicht von vorrangigem Interesse. "Das ist Sache der Diplomaten und keine wissenschaftliche Entscheidung", sagte Jonathan Childs von der USGS. Die Forscher würden sich auf das Sammeln von Daten zur Vermessung des Meeresgrundes und zur Dicke von Gesteinsschichten konzentrieren. (APA/red)