Alltagsgeschichte "Liebling - ich bin im Prater" aus dem Jahr 1993

Foto: ORF/Cosmos Factory/Peter Kasperak

"Es ist eine Unsitte, dass in den Sommermonaten nur die zweite Wahl gesendet wird" , beschwert sich Uwe Kammann, Chef des deutschen Grimme-Instituts, im Spiegel. Wichtige Formate fielen einfach aus, "so als ob im Sommer das Bedürfnis nach Kultur und Debatte plötzlich verschwände". Die Sender würden jedes Jahr "dieses hausgemachte Sommerloch bohren, in dem der Zuschauer ziemlich gelangweilt versinkt" .

Der Chef des Instituts, das jährlich einen Preis an qualitativ hochwertige TV-Produktionen vergibt, schaut wahrscheinlich nicht ORF. Denn dort bringt man jedes Jahr die ultimative Gegenstrategie gegen die Flaute zur Anwendung: Elizabeth T. Spira. Die "Liebesg'schichten und Heiratssachen", die jeden Montag je nach Abgebrühtheit berühren oder belustigen, scheinen das Sommerloch aber nicht völlig verschließen zu können. Die Lösung: mehr Spira. Aber auch die Wiederholung der vergangenen Sendung für den Schenkelklopfer am Sonntagnachmittag ist noch nicht genug. Die Alltagsgeschichten, Spiras zweite Menschen-Show, macht deshalb abends am selben Tag die Überdosis komplett.

Die Interviewerin besuchte darin in gewohnter Manier den Wiener Prater, sprach mit ein paar Kids, befragte eine Toilettendame und den Lokomotivführer der Liliputbahn und ließ einen Mann tanzen, der seine Tage als Gast eines Würstelstandes verbringt. Wie es halt 1993 (!) so war. Denn aus jenem Jahr stammen diese Alltagsgeschichten. Beim ORF glaubt man vielleicht, eine wertvolle Sozialstudie wiederholt zu haben. Vor dem TV-Schirm kann man angesichts der verstaubten Doku am guten Sendeplatz nur sagen: Sommerloch, ich habe auf deinen tiefsten Grund gesehen. (Alois Pumhösel, DER STANDARD; Printausgabe, 3.8.2010)