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Eine kleine private Fleischhauerei in Havanna. Solche Geschäfte wollen die Machthaber künftig in größerer Zahl zulassen, auch um die Versorgung zu verbessern.

Foto: Reuters/Boylan

Er setzt damit die Liberalisierung der maroden Planwirtschaft fort – gegen den Willen seines Bruders Fidel.

Havanna/Puebla – Wer sich nach der Freilassung kubanischer Dissidenten Hoffnung auf ein Tauwetter machte, der wurde am Wochenende enttäuscht. "Dissidenten sind keine politischen Häftlinge, sondern Konterrevolutionäre" , sagte Präsident Raúl Castro am Sonntag bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit der Maßnahme. "Keiner dieser Bürger wurde wegen seiner Ideen verurteilt. Sie haben Gesetze verletzt und sich in den Dienst der USA und deren Embargo- und Umsturzpolitik gestellt", fügte der Staatschef hinzu.

Wirtschaftlich will Castro dennoch neue Akzente setzen. Kuba will in den nächsten fünf Jahren eine Million Arbeitnehmer aus der Staatswirtschaft entlassen. Um diese mit Arbeit zu versorgen, werde er mehr privatwirtschaftliche Initiativen zulassen, kündigte Castro an. Bislang war nur rund hunderttausend der fünf Millionen Arbeitskräfte der Insel die Selbstständigkeit erlaubt. Bereits vor einigen Monaten wurden Ausnahmen für Friseure und Taxifahrer gesetzt. Von "Reformen" könne jedoch keine Rede sein, es handle sich lediglich um eine "Aktualisierung" des Wirtschaftsmodells, stellte Wirtschaftsminister Marino Murillo klar.

Die Ankündigung folgt Tage nach mehreren öffentlichen Auftritten Fidel Castros, der zuvor nach einer Darmoperation für vier Jahre aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwunden war. Er sei aber wieder "voll auf dem Damm", sagte der Exstaatschef und Bruder seines Nachfolgers. Er ehrte ehemalige Kämpfer, dozierte im Staatsfernsehen, besuchte Wissenschafter, empfing Botschafter und redete kommunistischen Jugendlichen ins Gewissen.

Beobachter sehen darin ein klares Signal an die Öffentlichkeit. Der Gralshüter der Revolution melde sich inmitten einer schweren Wirtschaftskrise auf der Insel zu Wort und gebe damit zu verstehen, dass kein politischer Wandel anbricht. Öffentlich hielt sich Fidel mit Kommentaren zur Lage auf Kuba zurück. Auch Raúl geizt mit Auftritten.

Dass zum Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1959 erstmals keiner der beiden Castro-Brüder das Wort ergriff, wird als ein Zeichen für Unstimmigkeiten gewertet. Vor allem in Sachen Wirtschaftspolitik unterscheiden sich die beiden.

Während Fidel Anfang der Neunziger nur zögerlich den Kubanern erlaubte, auf eigene Rechnung zu arbeiten, schickte Raúl – ein Bewunderer des chinesischen Modells – die Militärs zu Managementkursen und machte aus ihnen die tragende Verwaltungselite des Landes. Differenzen gibt es auch hinsichtlich der Haltung zum Venezolaner Hugo Chávez. Fidel sieht in dem in Erdöldollars schwimmenden linken Caudillo seinen Ziehsohn, der in Lateinamerika die Fackel der Revolution hochhält. Raúl weiß, dass die venezolanischen Erdöllieferungen Kuba aus dem Energieengpass helfen, ist aber deutlich zurückhaltender gegenüber Chávez.

Frust des Volkes wächst

Seit Fidels Erkrankung lastet die Verantwortung auf Raúl. Und der Jüngere schlug einen eigenen Kurs ein. Es begann mit kleinen Schritten zur wirtschaftlichen Liberalisierung wie der Freigabe des Kaufs von Konsumgütern wie Handys und der Ausweitung der selbstständigen Arbeit. Raúl regte die Bevölkerung zu einem Prozess der Selbstkritik und Reflexion an, schwächte die antiamerikanische Rhetorik ab und begann Gespräche mit der katholischen Kirche und der EU, infolge deren jetzt die Dissidenten freigelassen wurden. Die Wirtschaftslage hat sich freilich nicht merklich verbessert. Die Frustration der Bevölkerung wächst, der Reformdruck steigt. (Sandra Weiss/DER STANDARD, Printausgabe, 3.8.2010)