Lamya Kaddor wurde 1978 im westfälischen Ahlen als Tochter syrischer Einwanderer geboren. 2003 schloss sie ihr Magisterstudium der Arabistik und Islamwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Komparatistik an der Universität Münster ab.

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In ihrem kürzlich erschienen Buch "Muslimisch, weiblich, deutsch" will Kaddor "eine neue Perspektive zeigen, die von innen kommt, die das Leben der Muslime zeigt, aber auch zeigt, welche Probleme man als Muslim in Deutschland hat". Doch das ist bei weitem nicht das einzige Thema ihrer Ausführungen. Kaddor gibt außerdem Einblicke in ihre Unterrichtspraxis als Lehrerin im nordrhein-westfälischen Schulversuch "Islamkunde in deutscher Sprache" und versucht dem Leser ihre eigene Interpretation des Glaubens näher zu bringen. Die Islamwissenschaftlerin spürt dabei den Themen der aktuellen deutschen Islamdebatte - Minarette, Kopftuch, Ehrenmord und Dschihad - auch in Koranversen nach, übt Kritik an deren Auslegung und interpretiert die islamischen Gebote aus ihrer liberalen Sicht neu.

"Die K-Frage" 

Lamya Kaddor, geboren als Tochter syrischer Einwanderer, trägt kein Kopftuch. Dies habe ihr oft Kritik seitens ihrer Glaubensbrüder und -schwestern eingebracht, aber auch Unverständnis seitens vieler Nichtmuslime. Besonders in unserer westlichen Gesellschaft erwecke die Islamdebatte den Eindruck, als "sei das Kopftuch der Dreh- und Angelpunkt des Glaubens", bedauert Kaddor. Die Autorin verortet zwar die theologische Grundlage des Kopftuches im Koran, doch "den eigentlichen Sinn, den Gott damit verbunden hat" könne das Kopftuch "in der Zeit und in der Welt, in der ich lebe" nicht mehr erfüllen, so die Theologin. Für Kaddor muss der Koran (in die Jetztzeit) interpretierbar sein, denn die Welt und die Lebensumstände der Muslime verändere sich und der Islam müsse sich mit verändern.

Tradition und Glaube

Doch nicht nur theoretisch-theologische Ausführungen, auch einige Ausflüge in die Welt des (in Deutschland) gelebten Islams bietet das Buch. Die liberale Muslimin und Pionierin der islamischen Religionspädagogik bedauert die "mangelhafte Vorstellung", die ihre SchülerInnen vom Islam haben. Verbote, Regeln und Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen seien die einzigen "beklagenswerten" Antworten, die Kaddor auf die Frage nach der Bedeutung des Glaubens bekomme. Die Vorstellungen, die die 14- bis 16-jährigen HauptschülerInnen haben, seien von der Herkunftskultur und von Traditionen geprägt. "In der Regel haben junge Menschen keine Chance, herauszufiltern, was an ihrem Glauben Religion und was Tradition ist", so Kaddor. Ein "neutraler", deutschsprachiger Islamunterricht könne hier abhelfen, plädiert die Lehrerin.

Fazit

Die Verquickung von (zu streng) ausgelegten Glaubensgrundsätzen mit Traditionen aus patriarchalen Gesellschaften verhindert nach Kaddor, die aus ihrer Sicht wünschenswerte und verwirklichbare Entwicklung eines "deutschen Islams". In ihren Ausführungen zeigt sie ihren ganz persönlichen Weg zum zeitgemäßen Islam auf und gibt eine sehr persönliche Stellungnahme zur deutschen Islamdebatte ab. Oft erscheinen Kaddors Vorschläge für einen zeitgemäßen, westlich geprägten Islam ein wenig naiv. Das mag vielleicht an der Diktion der Islamlehrerin liegen, oder an den salopp erzählten Anekdoten aus der Welt "der überintegrierten muslimischen Frauen". Trotzdem geben Kaddors Episoden aus dem privaten Leben und ihre Auslegungen der islamischen Gebote einen interessanten Einblick in die wenig bekannte Welt der kritisch denkenden, jungen Muslime. Ein empfehlenswertes Buch für alle, die eine Stimme hören wollen, die in der aktuellen Debatte selten zur Wort kommt: gläubig, kritisch, optimistisch. (Olivera Stajić, 2. August 2010, daStandard.at)