Blutsbrüder: Erich Schmid u. Andreas Vavra.

Foto: pergwerk.at

Die wichtigste lautet: Gibt es Winnetou wirklich?

***

Gföhl - Die wichtigste aller Fragen dräut gegen Ende einer jeden Heldensaga. Im konkreten Fall kommt sie von einem Kind auf der Bühne, das gerade von Vollschurken mit dem Tod bedroht wird: ,,Wird Winnetou rechtzeitig kommen?" Aber ja. Anthropologisch betrachtet hat sich diesbezüglich eindeutig das Happy End durchgesetzt. Auch wenn trotzdem alle bis zum Schluss nervös mitfiebern.

Die anderen zwei-, dreihundert nicht ganz so drängenden großen Fragen sprudeln zuvor aus wissbegierigen Kindermündern im Publikum. Die Karl-May-Spiele Gföhl im Waldviertel, bei denen heuer Der Schatz im Silbersee gegeben wird, bedeuten neben Aktion auf der Freiluftbühne immer auch Reaktion auf der Tribüne:

Wird der Winnetou tot werden? Wo ist die Squaw Kleiner Bär hingegangen? Ist sie tot? Passiert Old Shatterhand am Ende, dass er tot wird? Ist der schwarze Mann da auf dem schwarzen Pferd gut oder böse? Wird er tot? Sind die Haare von den Indianern echt? Spielt der Cowboy, den es gerade vom Pferd geschmeißt hat, dass er tot ist? Oder ist er wirklich tot? Ist das Feuer auf dem Dach vom Haus echt? Sind da richtige Menschen drinnen? Wo ist der Richard Lugner von den Plakaten? Ist er schon gestorben?

Um zurück zur wichtigsten aller Fragen und der Rettung in letzter Sekunde zu kommen: Eine Frage beschäftigt das junge Publikum mehr noch als alle anderen. Sie lautet: Gibt es Winnetou wirklich?

Hört zu. Wenn es Winnetou nicht geben würde, müsste man ihn erfinden. Der edle Apache erzählt uns von der Zivilisation verdorbenen Westmännern seit 1875 schließlich ganz im christlichen Sinne immer nur eines: In der Wildnis namens Leben setzt sich am Ende nicht etwa das Faustrecht des gierig nach Gold und Macht strebenden Bösen durch. Und das, obwohl es zwischendurch an diversen Marterpfählen oder beim Zweikampf mit dem Häuptling eines Stammes, dem das Geimpfte entschieden leichter aufgeht als einem Apachen, schwer danach aussieht. Nichts da, die Krieger des Lichts werden am Ende obsiegen. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.

Bis es so weit ist, muss man den am Watschenbaum rüttelnden dunklen Mächten schon aus reiner Selbstverteidigung ein wenig mit schwarzer Pädagogik einschenken.

In Gföhl hat man sich heuer dieser Problematik mittels einer sehr, sehr freien Bearbeitung des Silbersee-Stoffes angenommen. Gier als Triebfeder des Bösen ist überwiegend noch immer zu orten. Aber auch jene kalten, harten Fakten des Lebens, die eines besagen: Zynismus erwächst aus idealistischer Enttäuschung - und persönliches Unglück kann nicht nur stilles Leid verursachen, sondern ebenso Verbitterung, Sadismus und Menschenhass.

Prototypischer Schurke

Beim Rennen um den Schatz im Silbersee steht deshalb der prototypische Schurke Cornel Brinkley am Start, ein durch den Sezessionskrieg an Leib und Seele versehrter Südstaatenoffizier, der mit dem Indianergold einen neuen Krieg finanzieren will. Eine von Regisseur Friedrich Grud aus den Überresten von Karl Mays Original völlig neu erdachte, gebrochene und hoch zeitgemäße Figur, die dem Zuseher einiges abverlangt.

Auch für die Guten tritt bei dieser routiniert mit Pferde-Stunts, Explosionen und komischen Nudeln wie Sam Hawkins oder Lord Castlepool besetzten Tour de force rund um einen Kunstsee alles an, was Karl May in seinem Westmannwerk zu bieten hat. Old Firehand, die eigentliche Hauptfigur des Romans, wirkt gegen Old Surehand, Old Shatterhand und Winnetou blass. Wahrscheinlich auch, weil ihr Pferd ihr ebensolche Sorgen bereitet wie manchem Kollegen der Text. (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 04.08.2010)