Engagierter Expräsident: Carlos Menem während einer seiner Wahlveranstaltungen

Buenos Aires - "Menem weiß, was zu tun ist" prangt auf dem in den blauen Landesfarben gehaltenen Plakat im Stadtzentrum von Buenos Aires. "Stehlen" hat ein Unbekannter in roter Farbe darübergesprüht. Die Präsidentschaftswahl kommenden Sonntag in Argentinien entlockt den meisten Bürgern nur bissige Kommentare oder ein müdes Abwinken. "Alle müssen weg", lautete der beliebteste Slogan vor 15 Monaten, als inmitten der schweren Wirtschaftskrise Hunderttausende auf die Straße gingen und den Rücktritt von zwei Präsidenten erzwangen.

Jetzt allerdings sind alle wieder da: Expräsident Carlos Menem, dessen neoliberale Wirtschaftspolitik und ausufernde Korruption in den Augen vieler den Niedergang des Landes beschleunigte. Adolfo Rodríguez Saá, der in den turbulenten Wochen des Jahreswechsels 2001/2002 das Land eine Woche regiert und freudestrahlend die Einstellung des Schuldendienst verkündet hatte. Gouverneur Néstor Kirchner, der sich damals für generelle Neuwahlen stark machte und nun der Kronprinz des scheidenden aber mächtigen Übergangspräsidenten Eduardo Duhalde ist.

Alle drei Kandidaten gehören den Peronisten an, sind sich aber spinnefeind, weshalb die Partei dieses Mal erstmals ohne Einheitskandidat antritt. Auch die zweite große Partei, die Radikale Bürgerunion (UCR), hat sich vom Sturz ihres Präsidenten Fernando de la Rua im Dezember 2001 nicht erholt und ist zersplittert. Zwar hat die UCR in skandalumwitterten internen Wahlen noch einen offiziellen Kandidaten gekürt - doch der ist chancenlos. Mehr Aussicht auf den Einzug in die Stichwahl Mitte Mai räumen die Umfragen den beiden Exradikalen Elisa Carrió und Ricardo López Murphy ein. Carrió vertritt heute linksradikale Positionen, López Murphy das liberale Unternehmerlager. Eine solide parteipolitische Basis haben beide nicht.

Erst vergangenen Dienstag gab es in Buenos Aires wieder Straßenschlachten, die an die Tage nach dem ökonomischen Zusammenbruch 2001 erinnerten. Die Polizei räumte eine besetzte Textilfabrik, vierzig Menschen wurden dabei verletzt. Dennoch: Wirtschaftlich hat sich Argentinien von dem tiefen Fall nach der Zahlungsunfähigkeit ein wenig erholt. Nach vier Jahren Rezession wird für 2003 erstmals wieder ein Wirtschaftswachstum von etwa vier Prozent erwartet, die Arbeitslosenzahlen sind leicht rückläufig, der Export boomt.

Doch die erwartete politische Erneuerung ist ausgeblieben. "Eine neue Politikergeneration ist nicht aus dem Boden zu stampfen; Politik gilt hier als schmutziges Geschäft, viele junge Leute haben sich da bisher rausgehalten", erläutert Heinrich Sassenfeld von der deutschen Friedrich-Ebert- Stiftung in Buenos Aires. "Und es fehlt eine Generation politisch Engagierter, die unter der Diktatur(1976-83, Anm.) umgebracht wurden."

So reißt niemand die Wähler mit. Mit mehr als 20 Prozent der Stimmen kann laut Umfragen kein Kandidat rechnen. Und das auch nur, weil in Argentinien Wahlpflicht besteht. "Ich werde für das kleinste Übel stimmen", sagt ein Taxifahrer resigniert. 30 Prozent der Wahlberechtigten wollen ungültig wählen oder sich trotz Bußgeldandrohungen enthalten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 25.4.2003)