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Ubuntus Community-Manager Jono Bacon, neben seiner Liebe zu freier Software auch Musiker mit eigener Metal-Band "Severed Fifth".

Während viele Linux-Distributionen vor allem auf den Enterprise-Bereich ausgerichtet sind - immerhin gibt es dort das große Geld zu verdienen - hat man bei Ubuntu von Anfang an die EndbenutzerInnen in den Fokus gerückt. Mit viel Feinschliff am Desktop, einer möglichst simpel gehaltenen Installation und einer starken Community ist man in diesem Bereich über die Jahre zu einer dominanten Kraft geworden. Keine andere Linux-Distribution stößt auf ähnliches öffentliches Interesse, entsprechend stark ist die Stimme des Ubuntu-Projekts - bzw. des dahinter stehenden Softwareherstellers Canonical -  mittlerweile innerhalb der Open-Source-Welt.

Die aktuelle Ausgabe der Distribution - Ubuntu 10.04 "Lucid Lynx" hat zahlreiche zentrale Änderungen mit sich gebracht, nicht zuletzt am in der Vergangenheit immer wieder kritisierten Look, aber auch an der User Experience des Desktops. Modifikationen mit denen man sich aber nicht nur positive Besprechungen sondern auch so manche Kritik eingefangen hat, mangelhafte Zusammenarbeit mit dem GNOME-Projekt - das die Basis für den Ubuntu-Desktop bildet - sowie zunehmende Alleingänge werden der Distribution immer wieder vorgeworfen.

Ein Thema, das entsprechend auch im folgenden Interview, das am Rande der GNOME-Konferenz GUADEC in Den Haag geführt wurde, eine zentrale Rolle einnimmt. Gesprächspartner war dabei Jono Bacon, Ubuntu Community Manager und langjähriger GNOME-Entwickler. Mit dem Buch "The Art of Community" ist er vor kurzem auch unter die AutorInnen gegangen, das bei O'Reilly verlegte Werk steht ganz im Geist der freien Softwarebewegung auch unter einer Creative-Commons-Lizenz kostenlos zum Download. Das Interview führte Andreas Proschofsky, es ist auch im englischsprachigen Original verfügbar.

derStandard.at: Rückblickend betrachtet: Sind Sie mit Ubuntu 10.04 (Lucid Lynx) zufrieden?

Jono Bacon: Persönlich bin ich sehr zufrieden, Lucid ist wirklich eine großartige Release geworden. Wir versuchen von Release zu Release immer mehr in die Verbesserung der User Experience zu setzen und bei Lucid hatte ich das Gefühl, dass viel davon zusammengekommen ist. Es gibt natürlich immer Dinge, die man noch besser machen könnte - immerhin sind wir Entwickler und sind demnach immer stärker auf die Fehler als auf die funktionierenden Sachen fokusiert - aber allgemein sind wir ziemlich zufrieden.

derStandard.at: Kann man sagen, dass Äußerlichkeiten eine wichtige Rolle für Lucid gespielt haben?

Jono Bacon: Klar. Aussehen und Usability spielen eine immer größere Rolle, wir leben in einer Welt in der gutes Design immer wichtiger wird. Also haben wir mittlerweile ein recht großes Team zusammengestellt, das hart daran arbeitet, Ubuntu zu einer möglichst einfach zu nutzenden Umgebung zu machen, ein Teil davon ist, dass es gut aussieht.

derStandard.at: Eine der umstrittensten Entscheidungen in Lucid war jene, die Fensterknöpfe von der rechten auf die linken Seite zu verlegen, in der Nachbetrachtung: Hätte man hier Fehler gemacht?

Jono Bacon: Als das publik wurde, haben wir gerade jede Menge visueller Änderungen vorgenommen, wir haben zwei neue Themes veröffentlicht, wir haben das Branding des gesamten Projekts verändert und ein neues Logo bekommen. Mein Team war dafür verantwortlich diese gute Arbeit des Design-Teams zu kommunizieren, worauf wir uns aber nicht eingestellt haben, war diese Kontroverse rund um die Verlagerung Fensterknöpfe. Insofern hätten wir hier sicher besser reagieren können.

Prinzipiell gibt es in dieser Frage zwei verschiedene Arten von Kritik: Die eine, die zum Teil wirklich fundiert gegen diese Entscheidung argumentiert, aber eben auch die andere, die hier primär emotional reagiert hat, jene Leute die die Veränderung nur deswegen abgelehnt haben, weil es eben etwas anderes ist - was natürlich bei jeder großen User-Interface-Änderung zu erwarten ist. Was aber auch interessant ist: Obwohl dieses Thema anfänglich einiges an Aufregung verursacht hat, gibt es seit der Veröffentlichung von Lucid eigentlich kaum mehr Diskussionen dazu.

derStandard.at: Viele der Entwicklungen, die Ubuntu in letzter Zeit vorgenommen hat - die App Indicators, das Messaging Menu, das MeMenu - sind beim Upstream-GNOME nicht eingeflossen und werden nur in Ubuntu verwendet. Geht man hier zunehmend getrennte Wege?

Jono Bacon: Genau genommen sind das alles Upstream-Entwicklung, nur eben dass Ayatana (das Canonical-Projekt zur Verbesserungen von Design und Usability, Anm.) hier das Upstream-Projekt ist. Der Code ist Open Source, die Fehlerdatenbank ist offen, andere Leute können mitentwickeln. Bei den App Indicators hatten wir auch zahlreiche Beiträge aus der Community, das Ganze basiert ja auf einer Freedeesktop.org-Spezifikation, das KDE-Projekt hat ebenfalls geholfen. Die GNOME-Entwickler haben wir im Freedesktop-Umfeld zur Diskussion eingeladen und das fertige Projekt dann zur Aufnahme vorgeschlagen - ob es genommen wird oder nicht ist aber im Endeffekt nicht unsere Entscheidung. (Eine Aufnahme wurde Anfang Juni durch das GNOME-Projekt abgelehnt, als Gründe nannte man dabei - neben der mangelhaften Kommunikation - das Fehlen einer Perspektive in Hinblick auf das Zusammenspiel mit der GNOME Shell, Anm.) Insofern ist das durchaus damit vergleichbar, wie andere Distributionen das in der Vergangenheit gelöst haben, etwa als Novell mit Slab ihr eigenes Startmenü entwickelt haben, weil sie davon überzeugt waren, dass das ihre Distribution weiterbringt.

derStandard.at: Novell wurde dafür aber auch heftig kritisiert.

Jono Bacon: Das wurden sie, aber um ehrlich zu sein - und ich möchte betonen, dass das meine Privatmeinung ist und ich hier nicht für Canonical spreche - wir müssen diese Vorstellung, dass alles innerhalb einiger weniger Projekte entwickelt werden muss, hinter uns lassen. So lange etwas frei und Open Source ist und es die User Experience verbessert, sollte es auch als vorrangiges Projekt behandelt werden. Insofern sollte es nicht darauf ankommen, auf welchem Server der Code liegt, welches Code-Management-System es verwendet, der ganze Sinn einer Linux-Distribution ist ja schließlich die besten Technologien aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen.

derStandard.at: Trotzdem: Während man sich bei GNOME derzeit ganz auf die Version 3.0 (und die GNOME Shell) konzentriert, arbeitet Ubuntu momentan an einer vollständig anderen User Experience.

Jono Bacon: Ja und nein. Sicher, die Panel-Applets in der rechten oberen Ecke sind anders, aber wir benutzen noch immer den Rest von GNOME, wir verwenden Nautilus, wir haben das gleiche Startmenü, wir liefern die gesamte GNOME-Infrastruktur. Ich sehe das nicht als die Auslieferung einer vollständig anderen User Experience, sondern als die Verbesserung einiger Teile, die nicht so toll funktioniert haben. Was Canonical betrifft: Wenn GNOME diese Arbeiten übernehmen und ausliefern will, wäre das großartig.

In der Vergangenheit ist viel Arbeit direkt innerhalb des GNOME-Projekts passiert, aber das ändert sich. Viele Distributionen betreiben jetzt ihre eigenen Entwicklungen, es geht hier nicht mehr länger nur um das Erstellen von Paketen und die Verbreitung. Nehmen wir den Ubuntu One Music Store als Beispiel: So etwas wäre vor einigen Jahren nie möglich gewesen, Distributionen haben damals einfach keine neuen Services ins Leben gerufen, aber jetzt entwickeln sie sich zu eigenen Upstream-Projekten.

Aber natürlich gibt es zahllose Möglichkeiten, wie wir die Zusammenarbeit mit anderen Projekten verbessern könnten, man sollte nicht vergessen, das wir so etwas noch nicht sehr lange machen. Wir erstellen zwar schon seit einiger Zeit eigene Paket, aber eigene Entwicklungen betreiben wir noch nicht so lange.

derStandard.at: Weil sie zuvor die Vielfalt im Open-Source-Umfeld gepriesen haben: Wo endet Vielfalt und beginnt der Fork (eine Abspaltung der Code-Basis in ein neues Projekt, Anm.)?

Jono Bacon: Um das klar zu machen: Canonical und Ubuntu haben keinerlei Pläne einen Fork von GNOME vorzunehmen. Es gehört zu den Vorteilen von Open Source, dass man einen Fork vornehmen kann, aber in Wirklichkeit ist das etwas, das man wirklich vermeiden will und so nur äußerst selten passiert.

All das was wir im Moment machen, ist ja nur der Austausch von einzelnen Bestandteilen, etwa wenn unser notify-osd den notfication-daemon von GNOME ersetzt. Für mich wäre die Analogie dazu ein Auto zu kaufen und frische Reifen zu montieren - wodurch es aber immer noch ein Auto bleibt.

Klar ist das eine heikle Situation, aber im Prinzip ist das das Selbe, was Red Hat mit der GNOME Shell macht - die ja auch eine vollständig neue User Experience schafft.

derStandard.at: Wird Ubuntu die GNOME Shell aufnehmen und wenn ja: Wann?

Jono Bacon: Das haben wir noch nicht entschieden, wir werden das beim nächsten Ubuntu Developer Summit im Oktober abklären.

derStandard.at: Die GNOME Shell gibt es nun bereits sei rund eineinhalb Jahren und sie wurde recht früh als die Zukunft für GNOME festgelegt. Warum beteiligt man sich nicht dort an der Entwicklung anstatt die "alte" Plattform zu verbessern.

Jono Bacon: Zum Teil hängt das daran, dass unser Design-Team einfach andere Ideen hat. Neben dem mobilen Bereich - wo wir mit Unity eine neue User Experience entwickeln - ist der Fokus auf GNOME mit diesen Zusätzen.

derStandard.at: Mit Unity investiert Canonical stark in Netbooks, warum ist das Interesse gerade in diesem Bereich so stark?

Jono Bacon: Es ist ein echter Markt, einer in dem die Distributionen Geld machen. Für Netbook-Hersteller ist Linux äußerst interessant, weil es hier sehr wichtig ist, die Preise niedrig zu halten. Insofern ist eine freies Betriebssystem, das speziell angepasst wurde und guten Hardware-Support bietet, wirklich interessant.

derStandard.at: Die Netbook-Ausgabe von Ubuntu 10.10 soll Chromium als Default-Browser verwenden (diese Entscheidung wurde erst nach dem Interview revidiert, Anm.), wird die "normale" Desktop-Edition diesem Beispiel folgen?

Jono Bacon: Das ist nicht meine Entscheidung, dafür ist das Desktop-Team zuständig, aber sagen wir es einmal so: Es würde mich nicht überraschen, wenn wir auf Chromium wechseln - es ist ein großartiger Browser.

derStandard.at: Ubuntu kämpft regelmäßig mit dem beschränkten Platz, den eine Live-CD bietet, gibt es Pläne hier auf USB-Images zu wechseln?

Jono Bacon: USB ist äußerst interessant, vor allem da viele Rechner gar nicht mehr mit CD-Laufwerken ausgeliefert werden, derzeit gibt es aber keine entsprechenden Pläne, wir haben schon länger nicht mehr diskutiert, ob wir die Auslieferung verändern wollen. Vor einiger Zeit hatten wir angedacht, auf DVD-Images umzusteigen, aber nach etwas Recherche war schnell klar, dass es noch immer ziemlich viele Leute ohne DVD-Brenner gibt. Und was ebenfalls nicht vergessen werden sollte: Wir verschenken mit jeder neuen Release hunderttausende CDs, was ein ziemlich guter Weg ist, Leute für Open Source zu interessieren - mit USB-Sticks wäre das erheblich teurer.

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky, derStandard.at, 08.08.10)