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Einen Testbericht über das iPhone 4 zu schreiben, ohne bei Apples "Antennagate" zu beginnen, ist praktisch unmöglich. Für diejenigen, die in den vergangenen Wochen auf Urlaub in Nordkorea oder anderen Orten ohne Zugang zu Westmedien waren, oder die sich bisher nie für Gadgets interessierten und völlig zufällig ausgerechnet an dieser Geschichte hängengeblieben sind: Wenn man das iPhone 4 links unten fest mit bloßer Hand drückt, kann es zu einer Schwächung des Empfangs kommen. Das ist inzwischen von Apple bestätigt, über das Ausmaß des Problems gehen die Ansichten auseinander.
Experten in Sachen Handyantennenbau
Während wir so quasi über Nacht zu Experten in Sachen Handyantennenbau wurden, verdeckt die Aufregung zwei eher beruhigend langweilige Aspekte des iPhone 4: Offenbar ist telefonieren tatsächlich nur noch eine weitere Funktion heutiger Handys, wovon die ungebrochene Nachfrage zeugt. Und ein iPhone ist ein iPhone ist ein iPhone: Auch wenn Apple-Chef Steve Jobs gerne zum schmückenden Adjektiv "revolutionär" greift, so unterscheidet sich das Modell 4 nur evolutionär von seinen Vorgängern.
Das ist kein Mangel, es ist ein Vorzug: Wer einmal ein iPhone benutzt hat, findet nahtlos Anschluss an die jüngste Generation, beginnend mit der Möglichkeit, über die iTunes-Software alle Einstellungen eines vorherigen Apple-Handys mit einem Klick zu übertragen - eine Leistung, die Apple weiterhin kein Konkurrent nachmacht.
Design
Das Design ist kantiger geworden, beidseitig mit Glasplatten bestückt (Achtung, Fingertapser) und mit ebenjener außenliegenden, als Metallrahmen dienenden Antenne. Bei gleicher Bildschirmgröße (3,5-Zoll-Display-Diagonale) wurde das iPhone merklich dünner, unwesentlich schmäler und liegt gut auf, da seine Rückseite flach und nicht mehr gerundet ist.
Das Display ("Retina" von Apple getauft) besitzt nunmehr eine Auflösung, die über der von Drucken liegt, was vor allem Schrift zugute kommt. Der Unterschied ist erkennbar, auch ist das Display lichtstärker und kann mit den ausgezeichneten neuen Samsung-Displays ("Super Amoled" ) mithalten. Aber der Fluch der guten Qualität von Anfang an ist, dass man schon übertreiben müsste, die Qualitätssteigerung als "dramatisch" zu bezeichnen (was sie in der Papierform ist: 960 x 640 Pixel, das Vierfache von bisher 480 x 320). Das iPhone glänzte schon bisher mit sehr guter Darstellung.
Hauptkamera (fünf Megapixel)
Verbessert auch die Auflösung der Hauptkamera (fünf Megapixel), zu der sich eine Fotoleuchte und eine zweite Kamera an der Vorderseite gesellte. Deren Fehlen wurde dem iPhone bisher angekreidet, da dadurch keine Videogespräche möglich waren. Schmerzlich wurde sie jedoch kaum vermisst, da Videocalls der bisher größte Flop der UMTS-Geschichte sind. Ob Facetime, Apples Version des Videocalls, einen Unterschied macht, lässt sich bezweifeln. Vermutlich sind Videotelefonate auch deswegen wenig beliebt, da die unvermeidliche Kameraposition von unten eine der unvorteilhaftesten ist, wenn man nicht gerade eine Kinnpartie wie Kirk Douglas hat. Ein Gewinn hingegen die Möglichkeit, jetzt auch in (halbem) HD filmen zu können.
Simple
Über die einfache, intuitive Benutzung des iPhone wurde bereits an anderer Stelle viel geschrieben, das Beste, was man darüber sagen kann: Sie ist weiterhin wie gewohnt, mit vielen Verbesserungen im Detail - etwa, dass Mail mehrere Konten in einer Ansicht zusammenfasst, oder Programme im Hintergrund weiterlaufen können. Das ermöglicht u. a., Skype ständig aktiv zu halten, was es erst zu einer Alternative zur Handytelefoniererei macht. Dazu hat das iPhone einen wesentlich leistungsstärkeren Prozessor erhalten, der auch ermöglicht, HD-Videos am Handy zu schneiden.
Und das Antennenproblem? Bei heftiger Umklammerung an der richtigen (laut Apple: falschen) Stelle ist der Abfall der Empfangsleistung zu sehen, aber diese schwankt an manchen Testorten auch ohne Handauflegung zwischen zwei und fünf Stricherln. Gefühlt kein größeres Problem als sonst bei Mobilfunk, wahrscheinlich werden Nutzer in schlecht versorgten Regionen dies jedoch stärker bemerken. Apple verschenkt inzwischen ein Bumper genanntes Verhüterli, das nicht gerade eine Designverbesserung ist, aber eben das Problem minimiert. Vielleicht gibt es ja bis Ende September, wenn diese Großzügigkeit ausläuft, eine Version 4a, die Bumper überflüssig macht. (Helmut Spudich, DER STANDARD Printausgabe, 6. August 2010)