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Russische Panzer 2008 in Georgien: Begleitet wurden die konventionellen Truppen von Cyberkriegern.

Foto: Reuters

Tallinn/Washington/Wien - Die Backsteinbauten sind idyllisch gelegen. Die ehemaligen Baracken der zaristischen Armee am Ülemiste-See wurden proper renoviert und mit feinstem IT-Equipment ausgestattet. Im Gegensatz zu den Truppen des Zaren kämpfen die Soldaten, die heute dort ihren Dienst tun, nicht mehr mit Flinten und Kanonen. Das Nato Cyber Defense Center of Excellence in Tallinn operiert in einem Feld, in dem keine Schüsse fallen - dort, wo Computerwaffen eingesetzt werden.

Estland Opfer der Cyberkrieger

Es ist kein Zufall, dass das Zentrum in Tallinn steht. 2007 wurde Estland Opfer eines großen Cyberangriffs. Estlands Regierung ließ damals ein russisches Denkmal aus dem 2. Weltkrieg, einen Bronzesoldaten, aus dem Stadtzentrum auf einen Militärfriedhof verlegen. Es kam zu Ausschreitungen auf den Straßen - und zu einer massiven Überlastung der estnischen Datennetze, die Regierung wie Privatunternehmen für einige Tage lahmlegte. Estland machte Russland dafür verantwortlich und erklärte, die Server, von denen massenhaft sogenannte Denial-of-Service-Anfragen gesandt wurden, die die estnischen Systeme zum Absturz brachten, stünden in Moskau. Der Kreml dementierte jede Beteiligung.

"Beginn einer neuen Ära"

Der estnische Verteidigungsminister Jaak Aviksoo erkannte in dem Datenangriff nichtsdestotrotz "den Beginn einer neuen Ära" . Denn die Attacke hatte gezeigt, wie effizient, lautlos und sauber Kriegsführung in Datennetzen (cyber warfare) sein kann. US-Thinktanks wie das Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington sehen darin sogar einen sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel, wie ihn zuletzt die Atomwaffen in den 1940er-Jahren gebracht hätten.

Nur ein Jahr nach der Tallinn-Aktion baute - mutmaßlich - Moskau seine Fertigkeiten in diesem Feld deutlich aus. Im Georgienkrieg im Sommer 2008 begleitete eine Cyberoperation die Aktionen der russischen Armee zu Lande, Wasser und in der Luft. Die Webseiten der Regierung in Tiflis waren binnen kürzester Zeit tot, genauso wie die georgische Kommunikationsinfrastruktur.

Kein direkter Konnex nachzuweisen

Auch damals ließ sich kein direkter Konnex zu Russland nachweisen. Die Datenspur verlor sich bei Hackern im Umfeld der organisierten Kriminalität, die eben zufällig bestens über Timing und Ziele der Russen in Georgien Bescheid wussten. "Solche Cyberangriffe werden künftig die meisten Konflikte begleiten, wenn diese eskalieren" , sagt John Bumgarner von der US-Cyber Consequences Unit, einem unabhängigen Forschungsinstitut in North Carolina, das diesen Vorfall untersucht hat.

Dass diese These Substanz hat, dafür sprechen Zahlen und Fakten: Neben den Russen sind die USA, China und Israel derzeit führend in Sachen Cyberkrieg. Insgesamt laufen in 140 Staaten weltweit Datenkrieg-Programme. Vor allem die USA sind massiv eingestiegen: Vergangenes Jahr wurde ein eigenes Cyber-Kommando eingerichtet, dem der Chef des Geheimdienstes NSA, der Vier-Sterne-General Keith Alexander, vorsteht. 55 Mrd. Dollar werden investiert, tausende Hacker in Staatsdienste übernommen - vor allem deshalb, "weil wir weltweit am verwundbarsten sind, das Ziel Nummer 1" , so der CSIS-Experte James Lewis, der für die Regierung Obama ein Strategiepapier geschrieben hat (Securing Cyberspace for the 44th Presidency). Täglich soll es hunderttausende Angriffe auf US-Einrichtungen geben.

China angeblich hinter Angriff

Es geht vor allem um militärische und wirtschaftliche Spionage sowie den Schutz vitaler Infrastruktur wie Kommunikationsstränge und Energieversorgung. Hacker der chinesischen Volksarmee etwa sollen beim Versuch, Schadsoftware im Stromnetz des Bundesstaates Florida zu installieren, dieses versehentlich außer Betrieb gesetzt haben. Bei einer großangelegten Cyberattacke auf Google im Dezember 2009, die US-Außenministerin Hillary Clinton Anfang des Jahres in einer sehr deutlichen Rede anprangerte, hatten es die Chinesen unter anderem auf E-Mail-Konten von Dissidenten abgesehen.

Wer in diesem Krieg Freund und Feind ist, wer Kombattant, ist schwer festzustellen - mit allen Konsequenzen. Abschreckung zum Beispiel funktioniere hier nur bedingt, meinen Experten, weil Angreifer immer einen viel größeren Vorteil haben als bei Nuklearangriffen. Deshalb setze auch Barack Obama auf vorbeugende Schläge im Cyberspace.

Andererseits ließ Cybercom-Chef Alexander erst unlängst damit aufhorchen, dass die USA bereit seien, Cyberoperationen international zu limitieren. Russland fordert schon länger, analog zum Nuklearregime, eine Art UN-Cyber-Abrüstungsvertrag. (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.8.2010)