Manche Erfindungen, obwohl von Menschen gemacht, brechen wie Naturereignisse über den Menschen herein. Das Internet ist so eine Erfindung: Gerade 20 Jahre ist es her, dass sich das Rechenzentrum der Universität Wien an das europäische Forschungszentrum Cern in Genf permanent anschloss.

Heute nennen wir die Kinder, die damals zur Welt kamen, "digital natives" , die Eingeborenen einer digitalen Welt. Internet und Handy gehört so selbstverständlich zu ihrem Leben wie für ihre Elterngeneration Telefon, PC und Auto und Flugreisen. Sie halten sich über Facebook auf dem Laufenden, googeln (zum Leidwesen mancher Lehrerinnen und Lehrer) für ihre Hausaufgaben und Seminararbeiten, wählen ihren Medienkonsum immer öfter über die Empfehlungen ihres Online-Freundeskreises aus und lernen ihre künftigen Partner im Netz kennen.

Generation 50+

Aber das rasante Tempo, mit dem das Internet über uns hereinbrach, bringt es mit sich, dass viele Oldies nicht weit hinter Kindern und Enkelkindern zurückliegen. Auf Facebook, dem sozialen Netzwerk für inzwischen mehr als zwei Millionen Österreicherinnen und Österreicher, 500 Millionen User weltweit, ist die am zweitschnellsten wachsende Usergruppe die der Generation 50+.

Eine andere Erfindung, die sich noch schneller als Internet in diesen 20 Jahren flächendeckend verbreitete, ist das Handy. Gerade noch machten wir uns über die Wichtigmacher mit ihren schweren Ziegeln lustig. Inzwischen hat, statistisch gesehen, jeder und jede in Österreich, vom Neugeborenen bis zum Greis, bereits mehr als ein Handy in der Tasche.

Internet und Handy, anfangs getrennte Welten, sind längst ein untrennbares Traumpaar geworden. Der Mobilfunk ist die perfekte Faser für das Netz, aus dem unsere digitale Welt gewoben ist. Dank eines mobilen und leistungsfähigen Funknetzes sind wir "always connected" , stets verbunden, nicht nur dort, wo eine Steckdose hinreicht. Dabei kommen diese beiden Entwicklungen aus unterschiedlichen Welten: Das Internet, von den Universitäten friedlich den US-Militärs abgerungen, hat starke gemeinnützige Gene. Der wichtigste Baustein zur Popularisierung des Internets, das vom Briten Tim Berners-Lee erfundene "World Wide Web" , bleibt dauerhaft im Besitz einer Non-Profit-Stiftung. Gratisangebote sind ein beständiges Tribut an diese Non-Profit-Kultur, auch wenn wir mit Aufmerksamkeit bezahlen, die sich über Klicks in Werbegeld verwandeln lässt.

Auf der anderen Seite die kommerzielle Welt des Mobilfunks. Handyhersteller, Netzwerkausrüster und Mobilfunkbetreiber waren die Vorzeigekinder der New Economy, ihre Firmen die höchstbewerteten, ihre Manager die höchstbezahlten, die Lizenzgebühren für Funkspektrum bis zum Platzen der Dotcom-Blase eine Cashcow für den Staat.

Tempo

Die Paarung gemeinnütziger und kommerzieller Gene sorgte für das enorme Tempo der Entwicklung: Denn sie sorgte dafür, dass Internet anders als frühere Medien ein Mitmachmedium wurde. "User-generated Content" brachte die Lebendigkeit hervor, die Menschen in Scharen anzog - etwa die Abertausenden, die dank der Anstiftung eines Gründers wie Jimmy Wales und einiger Aktivisten Wikipedia hervorbrachten, oder die Millionen, die Blogs oder Youtube oder soziale Netzwerke speisen.

Und auch auf kommerziellen Websites spielt User-generated Content eine entscheidende Rolle, etwa auf der E-Commerce-Plattform Ebay, deren Inhalte von Benutzern gemacht werden, oder bei den Buchbesprechungen auf Amazon, bei Restaurant- und Hotelkritiken, in Diskussionsforen wie bei derStandard.at.

Menschen neigen dazu, Erfindungen zuerst grenzenlos zu überschätzen, ehe sie nach einer ersten Ernüchterung das Tempo des Wandels völlig unterschätzen. So auch beim Internet: Der Hype des Anfangs führte zur Dotcom-Blase, der größten Wirtschaftskrise vor der Finanzkrise.

Es folgte die Ernüchterung über die dunklen Seiten der schönen neuen Onlinewelt, die auch eine von Mobbing auf Facebook, Verlust von Privatsphäre und krimineller Energien ist. Der Honeymoon mit Unternehmen wie Google oder Facebook, Apple oder Amazon ist vorbei, die Macht der Großen wird auf den Prüfstand gestellt.

Aber die Dynamik der digitalen Neuvermessung der Welt ist damit nicht gestoppt. In vielen Bereichen stehen wir erst ganz am Anfang, wie bei E-Health oder in der Bildung, oder bei "Smart Grids" für effiziente Energienetze. In den vergangenen 20 Jahren haben wir Veränderungen unserer Kommunikation und unseres Alltags erlebt wie keine Generation vor uns. Wir sollten uns für die nächsten 20 digitalen Jahre gut festhalten. (Helmut Spudich, Der STANDARD/Printausgabe, 7. August 2010)