Brüsseler Talente bei Impulstanz: ironische und dynamische Reflexionen über das Schrittmaterial.

Foto: Grietens

Zu erleben waren Arbeiten talentierter Choreografen, die ihre Inspiration auch dem Stöbern im Internet verdanken.

Wien – Das Interesse an junger Choreografie ist im vergangenen Jahrzehnt deutlich gewachsen. Den Jungen wird mehr zugetraut, sie erhalten mehr Aufmerksamkeit – allerdings kommen sie damit auch früher in die Mühlen des Marktes. Und das bedeutet auch Stress. Einer der präsentierten angehenden Tanzschaffenden aus der renommierten Brüsseler Schule P.A.R.T.S. bringt es im Programmtext seines Stücks I have to get ready to get ready denn auch auf den Punkt: "Meine Generation wird durch die beständige Forderung definiert, ein besseres Individuum zu werden (...) Eine Generation mit einer solchen Überlastung an Information, dass sie passiv wird."

Die Überproduktion an Information schafft eine neue Auslese zugunsten von Künstlern mit gutem Orientierungsvermögen. Beispiele dafür sind etwa die bisher renommiertesten P.A.R.T.S.-Absolventen Thomas Plischke und Mette Ingvartsen. Die Brüsseler Schule hat einen guten Ruf.

Nicht nur wegen ihres Lehrplans, sondern auch, weil ihre Gründerin Anne Teresa De Keersmaeker hier ihren Tänzernachwuchs herausfiltert. Und weil sie durch die berühmte Künstlerin einen Vernetzungsgrad hat, von dem andere Schulen nur träumen können. So werden die bei P.A.R.T.S. produzierten Abschlussarbeiten regelmäßig auf Tournee geschickt, und Impulstanz hat sie auch diesmal wieder großzügig präsentiert. In einem Remake von De Keersmaekers Stück Drumming konnten die Studenten zeigen, wie gut sie tanzen können und wie stark ihre Bühnenpräsenz ist. Wie so oft sind auch hier die Tänzerinnen – hervorragend: die Schwedin Salka Ardal Rosengren – stärker ins Stück integriert, während manche Männer ihren Auftritt mit einem Schauturnen verwechseln.

Der Tanz ist eine Kunstform, in der sich mehrheitlich Frauen engagieren. Weil das nicht alle freut, werden Tänzerinnen oft diskriminiert und tanzwillige Männer über die Maßen gehätschelt. In den drei Programmen der P.A.R.T.S.-Abschlussarbeiten fällt auf, dass von insgesamt neun Stücken ganze sieben allein von Männern choreografiert wurden und Frauen an den zwei übrigen nur als Beteiligte zeichneten. Kann das reiner Zufall sein?

Unter den sechs gesehenen Stücken der jungen Künstler gab es immerhin zwei interessante Ansätze. Einmal bei Daniel Linehans zusammen mit Rosengren gezeigtem Stück Montage for three, für das junge Künstler in den Bildermassen des Internets gewühlt haben, um gestische Motive einer gezielten Auswahl von Fotos tänzerisch umzusetzen. Vorbild dafür war sichtlich Boris Charmatz' Stück 50 Years of Dance, in dem der Künstler das Bildmaterial aus einem Buch über Merce Cunningham als Grundlage für eine Choreografie genutzt hat.

Sehr clever und mit viel Applaus honoriert auch Noé Souliers ironische und originelle Bilanzarbeit und Reflexion über das Schrittmaterial des Balletts unter dem Titel The Kingdom of Shades.

Allein diese beiden Stücke machten das Studenten-Gastspiel aus Brüssel zu einem gewinnbringenden Erlebnis. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 07./08.08.2010)