Der Architekt Vincent Callebaut und seine schwimmende Stadt "Lilypad". Bis zu 50.000 Menschen sollen nach Überflutungen in ihr ein neues Daheim finden.

Foto: Vincent Callebaut Architectures

Wie könnte ein Leben in einer Welt aussehen, in der es sehr viel wärmer wird, in der sich spontane Wetterereignisse häufen und sich Klimazonen verschieben? Zwar fabulieren wir von Nachhaltigkeit, haben aber kaum kulturelle Bilder, die dem mangelnden Klimasinn auf die Sprünge helfen könnten. Mit dieser Lücke von Wahrnehmung und Darstellung beschäftigt sich nun die Hamburger Ausstellung Klimakapseln - Überlebensbedingungen in der Katastrophe, die im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) zu sehen ist. Sie zeigt Orte und Unorte einer möglichen Zukunft: begehbare Kunststoffblasen, Fotos verlassener Gewächshäuser, historische Filme von Umweltaktionen auf der New Yorker Wall Street, Modelle wandernder Wohnzellen oder Animationen einer durchgrünten Hightech-Insel.

Ihr Material besteht aus visionären Entwürfen der Pop-Ära der 1960er-Jahre ebenso wie aus Interventionen von Architekten, Künstlern und Designern der Jetztzeit. Die Luftgebilde von gestern, visionäre bewohnbare Großstrukturen und künstlerische Schutzhüllen faszinieren noch immer, regen an zur retrospektiven Betrachtung: Es ging um psychedelische Experimente zur Erweiterung der Wahrnehmung, ästhetische Fantasien im Zeichen von Fortschrittseuphorie und Umweltangst. Nie zuvor wurden die teils optimistisch-fröhlichen, teils skeptisch-kritischen Lebensentwürfe in den Kontext gegenwärtiger Klimadebatten gestellt, wie es Kurator Friedrich von Borries mit seinem Hamburger Projekt Klimakapseln unternimmt.

Was tun, fragt von Borries, falls politische Klimaschutzbemühungen scheitern? Was, wenn das Ziel nicht mehr erreichbar sein sollte, den weltweiten Anstieg der Temperatur in alten und neuen Industrieländern bis zum Mitte des Jahrhunderts auf 2 Grad zu beschränken? Für diesen Fall prognostizieren Klimaforscher, bei rasch wachsender Weltbevölkerung einen drastischen Verlust an Flächen für Siedlung und Ernährung der Menschheit, vom Rückgang der Artenvielfalt in Flora und Fauna ganz zu schweigen. Was bliebe, wäre Anpassung. Die monetären, sozialen und kulturellen Kosten die in diesem Falle auftreten würden, erscheinen vielen Klimaforschern heute vollends untragbar.

Könnten Mensch und Tier in kleinen und großen Kapseln überleben und die Folgen des klimatischen Wandels abschwächen? Von Borries fragt im Hinblick auf diese negative Utopie einer verkapselten Welt: "Wollen wir in Zukunft so leben?" Wer es für sich oder seine Nachkommen ablehnt, in aufblasbaren Schutzhütten, in überdimensionalen Kapselstädten oder auf schwimmenden Inseln zu leben, der ist womöglich eben doch bereit, dem Klimawandel schon jetzt aktiv entgegenzuwirken.

Einst begeisterten Architekten wie Günter Zamp Kelp von Haus Rucker Co mit Räumen aus transparenter PVC-Folie, wie etwa die begehbare Oase Nr. 7, die in Hamburg aus der historistischen Fassade des Museums wächst - wie schon 1972 auf der documenta. Mit kaum einem Baustoff war es möglich, so schnell vom Entwurf zum realisierten Objekt zu gelangen. Nach einigen Jahren allerdings schienen die Grenzen des Materials ausgereizt. Nicht so für den argentinischen Künstler Tomás Saraceno (Jahrgang 1973), der die Struktur von Spinnennetzen untersucht, um fliegende Städte mit Pflanzen zu schaffen, die in der Luft wachsen. Für ihn steht unser Wissen über die Zukunft künftiger Kapselstädte noch ganz am Anfang.

Andocksystem für Obdachlose

Sehr pragmatisch agiert Architekt Michael Rakowitz, der gemeinsam mit Obdachlosen parasitäre Zeltbauten entwickelt, die sich an Abluftschächte von Wohn- und Bürogebäuden großer amerikanischer Städte andocken lassen. Ein Kapitel für sich stellen geplante Eingriffe in das Ökosystem dar, die von Geoingenieuren geplant werden und mit unabsehbaren Nebenwirkungen verbunden sind. In der Ausstellung werden dazu künstlerische "cloud buster"-Aktionen von Christoph Keller gezeigt.

Design, erläutert von Borries, habe sich in letzter Zeit übergeordneten Debatten entzogen und sich zu sehr auf die konkrete Verbesserung von Produkten, auf die Pflege von Marken konzentriert. Im Begleitbuch verbindet von Borries die Projekte der Ausstellung zu satirischen Science-Fiction-Geschichten, er erzählt aus der Perspektive eines vermeintlich allwissenden Planers ebenso wie aus jener des Klimaflüchtlings. Zudem bietet das Buch mit seinem umfangreichen Glossar eine hervorragende Übersicht in Sachen Klimakapseln, auch ihre Rolle in Science-Fiction-Filmen betreffend.

Was den Kurator im Kontext der Klimakapseln interessiert, sind weniger konkrete gestalterische Lösungen, schon gar nicht "nachhaltiges Design", es sind "kulturelle Bilder für künftige Lebenswelten". Manche der Bilder sind als Horrorszenario, andere als beglückender Zukunftsentwurf lesbar. So planten Richard Buckminster Fuller und Shoji Sadao 1960 den "Dome over Manhattan", eine gigantische transparente Klimakapsel mit einem Radius von drei Kilometern, um die Energie für Klimatisierung und Heizung der darunter befindlichen Bauten zu reduzieren. Schaurig-schön auch die Vision der frei in den Meeresströmen dahingleitenden Rieseninseln Lillypad, die der belgische Architekt Vincent Callebaut als autonomen grünen Zufluchtsort für Klimaflüchtlinge konzipiert hat.

Mit dem Projekt, das künstlerische und architektonische Zugänge zum Thema in den Vordergrund stellt, kann ein neuer Diskurs über die Ziele von Design beginnen, dessen Leitfrage lautet: Wie wollen wir morgen leben? (Thomas Edelmann/DER STANDARD, Printausgabe, 6.-8. 8. 2010)


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