Die Justiz arbeitet ohne Ansehen der Person, die Politik dankt ihr dies und bestärkt die Staatsanwälte in ihrem Vorgehen: So stellt man sich den Rechtsstaat in einem heißen Sommer vor.

Foto: Standard/Fischer

Heinz Mayer: Scharfe Justiz ein Tagtraum?

Foto: Standard/Newald

Montag, sieben Uhr früh; die Moderatorin des Ö1-Morgenjournals beginnt ihre Sendung mit einer Spitzenmeldung. Laut einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Justiz haben vor wenigen Stunden bei einem prominenten Politiker und mehreren ebenso prominenten Personen aus seinem privaten Umfeld Hausdurchsuchungen stattgefunden; auch das Büro des Politikers in der Zentrale seiner Partei sei durchsucht worden. Da sich eine seit Wochen bestehende Verdachtslage während des Wochenendes erhärtet habe, habe der zuständige Staatsanwalt unverzüglich gehandelt.

Nur wenige Hörer sind überrascht; schließlich waren die Vorwürfe seit Wochen bekannt. Da ist ein energisches Einschreiten der Staatsanwaltschaft selbstverständlich. In einer eilig einberufenen Sitzung der Parteileitung des betroffenen Politikers herrscht Betroffenheit. Schließlich wagt ein Jungfunktionär die Frage, ob man denn nicht mit der Justizministerin reden sollte, schließlich stünden Wahlen vor der Tür und überhaupt ... Mit Befremden blicken ihn seine Parteifreunde an. "Die Justiz handelt ohne Ansehen der Person, lieber Freund!" bekommt er zu hören, und rasch verfällt der Frevler in Schweigen.

Das Abendjournal desselben Tages bringt Interviews mit prominenten Juristen des Landes. Der ehemalige Präsident des Rechnungshofs und nunmehrige Kämpfer gegen Korruption etwa stellt die bange Frage, ob man hier nicht zu voreilig vorgegangen sei. Immerhin könne ein solcher Skandal den hervorragenden Ruf Österreichs als Wirtschaftsstandort gefährden; außerdem sei Österreich bekanntlich frei von Korruption. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs äußert die Sorge, dass die Justiz hier sorglos mit Grundrechten umgehe. Eine Hausdurchsuchung sei ein massiver Eingriff und sei nur zulässig, wenn dies zur Wahrheitsfindung unabdingbar sei.

Die Justizministerin antwortet in derselben Sendung mit klaren Worten: Die Justiz habe die Einhaltung der Rechtsordnung ohne Rücksicht auf politische oder persönliche Umstände zu gewährleisten. Damit - und nicht durch politische oder sonstige Rücksichtnahme - werde der Wirtschaftsstandort Österreich am sichersten geschützt. Rechtsstaatlichkeit nütze der Wirtschaft wie der Demokratie und bringe den Menschen Sicherheit und Berechenbarkeit. Die Grundrechte zu schützen sei selbstverständlich ein stetiges Anliegen der Justiz; jeder Verdächtige habe daher ein Recht darauf, dass Verdachtsgründe rasch und vollständig aufgeklärt werden. Die Staatsanwaltschaft habe daher - um jeden Verdacht der Befangenheit auszuschließen - deutsche Gutachter bestellt. Fairness des Verfahrens müsse nicht nur tatsächlich geübt werden, sondern auch für alle sichtbar sein.

Vorbildhaftes Handeln

In der Sitzung der Bundesregierung tags darauf bedanken sich der Bundeskanzler und der Vizekanzler bei der Bundesministerin für Justiz für ihr rasches und objektives Handeln; auch die übrigen Minister drücken der Justizministerin ihren Respekt aus. Diese bedankt sich ihrerseits bei den Staatsanwälten und weist diese an, weiterhin mit allen Konsequenzen an der Verfolgung strafbarer Handlungen zu arbeiten und weiterhin jeden Eindruck zu vermeiden, es werde mit zweierlei Maß gemessen. Internationale Beobachter würdigen die österreichische Justiz und preisen sie als vorbildlich. Korruption werde - so es sie überhaupt gebe - kompromisslos und rasch verfolgt, Objektivität sei selbstverständlich. Eine politische Einflussnahme auf die Justiz sei ausgeschlossen.

Alles nicht wahr?

Übrigens: Der junge, engagierte Staatsanwalt, der die gegenständliche Hausdurchsuchung veranlasst hat, hat nicht nur seine Vorgesetzten, sondern auch die Justizministerin tief beeindruckt; er hat in der Folge rasch Karriere gemacht und bekleidete bald eines der höchsten Ämter im Justizbereich. Er wurde zum Vorbild für spätere junge Kollegen, die eifrig versuchten, es ihm gleichzutun.

Was heißt da "alles nicht wahr"? Schon möglich. Aber wünschen darf man sich doch etwas! (Heinz Mayr, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.8.2010)