Salzburg - Schön, wenn die Programmbausteine eines Festivals miteinander ins Gespräch kommen. Da wäre also die neue Oper von Wolfgang Rihm, Dionysos. Und um sie herum gruppiert sich heuer ein ganzer Werk-"Kontinent Rihm" , der vertiefende Einsichten in das schillernde Schaffen des deutschen Komponisten ermöglicht.

Und damit dieser Moderneteil der Salzburger Konzertfestspiele nicht allzu inselhaft gerät, pflanzt sich Rihms Kunst, am Samstag in der Kollegienkirche etwa mit Et lux in der meditativen Version des Hilliard Ensembles und des Arditti Quartetts zu hören, auch hinüber in jene Großkonzerte, die sich philharmonisch geben. Das nennt man vernetztes Programmieren.

Gesungene Zeit

Rihm kann man also in Salzburg kaum entrinnen. Und er sich selbst auch nicht. Da er seine eigenen Opern als Teil des Publikums wahrnimmt, muss er immer nach vorne und sich in einen Huldigungs-Sandwich einfügen, den Akklamationen aus dem Publikum und jene auf der Bühne bilden. Es gibt Schlimmeres, als sich dann - umrahmt vom Sympathielärm - auch bei Anne-Sophie Mutter mit Kusshändchen zu bedanken. Die deutsche Geigerin hat Rihms Gesungene Zeit - Musik für Violine und Orchester ja auch mit jener ihr zur Verfügung stehenden Ausdruckskraft und -kontrolle umgesetzt.

Rihm hat sie in die höchsten Lagen ihres Instruments geschickt; auch dort ist sie jedoch eine Instrumentalvokalistin, die selbst die feinsten Töne (mal vibratogetränkt, dann wieder eiskalt) tragfähig in die Weiten des Großen Festspielhauses schickt. Es ist ein klein besetztes, ruhiges Werk. Aber Rihm wäre nicht Rihm, würde er in diese Flächigkeit nicht dramaturgisch sinnvoll auch perkussive "Orchesterkonter" einbauen, welche die Wiener Philharmoniker unter Riccardo Chailly deutlich umsetzen.

Überschwängliche Ausbrüche

Der anschließende Bruckner, dessen 4. Symphonie, war dann etwas weniger markant. Zwar herrschte hier in den Bläserentladungen wuchtige Transparenz, und in den filigranen Passagen blühte der philharmonische Sound samt Sanglichkeit auf. In Summe jedoch wirkte das alles ein bisschen sehr gerundet und auf eine glättende Art und Weise süffig.

Das etwas Außergewöhnlichere hatte im Großen Festspielhaus also schon ein paar Tage zuvor stattgefunden, mit dem Solokonzert von Grigory Sokolov. Bei den überschwänglichen Ausbrüchen Robert Schumanns in der Sonate f-Moll op. 14 etwa ergaben sich Momente ungeheurer Spannung. Das Stück spiegelt die Zuneigung des Komponisten zu Clara Wieck, aber auch den Konflikt mit dem Vater Claras, der die Verbindung verhindern wollte.

Davon erzählt vor allem das Allegro, das Sokolov als virtuoses Feuerwerk abbrennen ließ. Wie auch das Herzstück der Sonate, den 4. Satz ("Quasi variazioni. Andantino de Clara Wieck" ), in dem Schumann ein Thema Claras verarbeitet: zu Liebeserklärungen, die im Ausdruck vom machtvollen Choral bis zum zarten Taglied reichen.

Die Fantasien op. 116 von Brahms präsentierte Grigory Sokolov dann als Perlenschnur, auf der sich Zartes und Schlichtes (die introvertierten Intermezzi) sowie Übermütiges und Bockbeiniges aneinanderreihen: perfekt ausbalancierter Überschwang. Der präzise und dabei so unverwechselbar weiche Anschlag Sokolovs, seine technische Perfektion und sein gestalterisches Charisma machten dennoch Bachs Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826 zum Höhepunkt des Abends.

Die Sarabande - hingetupft zwischen Piano und Pianissimo, in allen nur denkbaren Klangfarben schillernd - hätte allein schon auch diesen Sokolov-Abend unvergesslich gemacht! (toš, klaba/DER STANDARD, Printausgabe, 9. 8. 2010)