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Es ist noch nicht lange her, da startete der Bundesstaat Mississippi eine teure Werbekampagne, um dem Spott skeptischer Yankees mit gelassener Selbstironie den Stachel zu ziehen. "Ja, wir können lesen. Ein paar von uns können sogar schreiben", stand auf einem Plakat, untermalt von den Köpfen gefeierter Erzähler wie William Faulkner oder John Grisham.

Hinterwäldler, die keinen vernünftigen Satz zu Papier bringen und barfuß durch den Sumpf waten: Nicht nur Mississippi, der gesamte amerikanische Süden galt lange als Armenhaus der Nation. Doch während des Wirtschaftsbooms unter Bill Clinton in den Neunzigerjahren wurden in Atlanta mehr Jobs geschaffen als in jeder anderen US-Großstadt. Doch Mississippi bildet in vielen Belangen der Lebensqualität immer noch das US-Schlusslicht.

Die Lücke schließt sich

1940 lag das Pro-Kopf-Einkommen dort noch bei 36 Prozent des US-Durchschnitts. 2008 waren es schon 74 Prozent. Unterm Strich hat sich der Süden schneller entwickelt als jede andere Region der Vereinigten Staaten, seit mit dem Ende der Rassentrennung das größte wirtschaftliche Hindernis aus dem Weg geräumt war.

Allerdings, wer übers Land fährt, in die entlegenen Appalachenwinkel North Carolinas oder hinter Memphis den Mississippi entlang, kann noch immer bittere Armut sehen. Keine Großstadtslums, dafür Wohnwagen unter hohen Kiefern - die Armenhäuser des Südens. Doch frisch angesiedelte Industrien lassen viele bereits vom "New South" sprechen, dem neuen Süden.

So richtig begann der Aufschwung mit den Autobauern. 1983 war Nissan der erste ausländische Konzern, der im Süden ein Werk in Betrieb nahm, in Smyrna, einer Kleinstadt in Tennessee. Andere zogen nach, heute haben Konzerne wie Daimler-Benz und Toyota hier Werke. Den Ausschlag dafür gaben niedrige Steuern und schwache Gewerkschaften, das Kontrastprogramm zum nördlichen Detroit, wo die straff organisierten United Auto Workers den Bossen von General Motors, Ford und Chrysler in harten Arbeitskämpfen etliche Zugeständnisse abgerungen hatten.

Den Autobauern folgt nun die Flugzeugindustrie. Boeing errichtet in Charleston an der Atlantikküste eine zweite Montagehalle für seinen neuen Dreamliner-Jet, eine Ergänzung zu Seattle, dem Traditionsstandort am Pazifik. Der einst arme Süden Alabamas erlebt einen Boom. In der Nähe der Hafenstadt Mobile zieht ThyssenKrupp für 3,1 Milliarden Euro ein Stahlwerk hoch. (fh/DER STANDARD, Printausgabe, 09.08.2010)