Er habe den Eindruck, dass sich "politisch sehr abgehobene" STANDARD-Kolumnisten dem "Niveau des Kleinformats nähern: Verbreitung der eigenen Vorurteile unter weitestgehender Verdrängung der Tatsachen." Dies schrieb DI Dr. Werner Reif als Reaktion auf die Kritik an der Beratertätigkeit Alfred Gusenbauers für die Hypo Alpe Adria kurz nach dessen Abgang aus dem Kanzleramt (Kolumne vom 2. August). Weil wir Journalisten gerne austeilen und manche aus unserer Zunft externe Kritik nur schwer verkraften, sei diese Attacke gerne zitiert.

Im Brief von Werner Reif gibt es jedoch eine Passage, die es wert ist, sich mit ihr näher auseinanderzusetzen:

"Die 'moralische' Seite von Gusenbauers Verhalten ist (...) vollkommen irrelevant. Entscheidend ist, ob er um sein Honorar der Republik als neuem Eigentümer der Bank (...) Probleme mit der EU erspart hat und welchen Vorteil der neue Eigentümer davon hat. Zu prüfen ist (...) die Frage, ob er für sein Honorar eine angemessene Gegenleistung erbracht hat."

Zunächst die Fakten. Unter der Kanzlerschaft Gusenbauer wurde für die Hypo Alpe Adria ein "Schutzschirm" errichtet, die Verstaatlichung in der Kanzlerschaft Faymann (und nicht Gusenbauers, wie irrtümlich am 2. August behauptet) war dennoch unausweichlich. Gusenbauer hatte also zur Causa Hypo ein privilegiertes Insider-Wissen, auf das er als Berater der Bank kurz nach Ende seiner Politik-Karriere zurückgreifen konnte. Gibt es ein moralisches Problem oder nicht? Weil "irrelevant"?

Im Juni 1999 endete das Mandat der damaligen EU-Kommission. Den Abschied nahm auch Martin Bangemann, ehemaliger deutscher Wirtschaftsminister aus den Reihen der FDP und zuständig in der EU auch für die Prüfung von Telefon- und Handy-Lizenzen. Noch im Juli heuerte er bei der spanischen Telefónica als Vorstandsmitglied an. Die EU-Führung leitete sofort ein Disziplinarverfahren ein, weil politisches Wissen nicht unmittelbar einem Unternehmen zugute kommen dürfe, das zu den von Bangemann geprüften Firmen gehöre.

Hier liege auch ein moralisches Problem vor, lautete der Vorwurf. Die Folge war ein EU-Verhaltenskodex, der scheidenden Kommissionsmitgliedern ein Jahr lang verbietet, einen den Aufgaben des Ressorts verwandten Job anzunehmen.

In Deutschland kam es sechs Jahre später zu einem ähnlichen Skandal rund um den als Regierungschef abgewählten Gerhard Schröder. Gegen Ende seiner Regierungszeit erhielt die russische Gasprom weitreichende finanzielle Garantien für Pipeline-Bauten, um Deutschland die Versorgung zu sichern. Kurz nach seinem Abschied aus der Politik heuerte Schröder aber bei Nord Stream an, einer Tochter von Gasprom. "Irrelevant" oder moralisches Fehlverhalten?

Die Causa Gusenbauer ist viel kleiner und begrenzter. Aber im Sinne des EU-Verhaltenskodex genauso anfechtbar. Selbst wenn der neue Eigentümer der Bank die Republik ist. Gusenbauer hat Insiderwissen, für dessen Erwerb er als Bundeskanzler entlohnt wurde, noch einmal an seinen früheren Arbeitgeber, die Republik, verkauft. Das ist unsauber.

Weshalb es auch bei uns klarer "Cool-off"-Regeln bedarf. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.8.2010)