Zur Person

Abid Suleri ist Vorstand des Sustainable Development Policy Institute, des wichtigsten pakistanischen Think-Tanks in Islamabad.

 

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Standard: Warum wurde aus den schweren Regenfällen in Pakistan so eine Katastrophe?

Suleri: Es ist schwierig, einen einzigen Faktor herauszustellen. Abholzung spielt sicher eine wesentliche Rolle, vor allem im Norden des Punjab. Dort wurde massiv gerodet, nicht nur von der Holzmafia, sondern auch für den Krieg gegen den Terror. Sowohl die pakistanische Armee als auch die Aufständischen haben dort gerodet, um Versorgungsstraßen, Bunker und Verstecke zu bauen. Rodungen sind der Hauptgrund für Murenabgänge. Aber auch die Regierung ist schuld. Vor zwei Jahren wurde beschlossen, den Mangla- Damm zu erhöhen (Staudamm im Norden Pakistans, Anm.), geschehen ist das aber nicht. Außerdem hatten die Provinzregierungen wenig Interesse, diverse kleine Dämme entlang der Flüsse zu bauen. Drittens gab es zu wenig Koordinierung zwischen den Regierungsstellen. Am 20. Juni schrieb das geologische Department einen Warnbrief, dass schwere Regenfälle kommen, die Fluten verursachen könnten. Vor fast zwei Monaten wurde die Regierung gewarnt, aber keiner hat etwas getan. Naturkatastrophen kann keiner verhindern, aber das aus der Naturkatastrophe eine menschliche Katastrophe wird, daran ist die schwache Politik mit schuld.

Standard: Wie groß ist der Schaden derzeit?

Suleri: Es ist zu früh, das zu sagen. Viele Menschen sind gestorben, viele wurden vertrieben, aber das Ausmaß der Schäden kann man erst abschätzen, wenn sich das Wasser zurückzieht. Ein großes Problem wird die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Ein Großteil der Ernte ist zerstört, das Vieh ist ertrunken. Außerdem werden die Leute einfach nicht an das Essen, das noch da ist, kommen, weil es keine Wege, Straßen oder Brücken gibt. Man kann das Ausmaß der Katastrophe noch nicht abschätzen, aber es könnte furchtbar sein.

Standard: Was ist beim Wiederaufbau die größte Herausforderung?

Suleri: Den Leuten, die vor der Flut geflohen sind, ihr Leben wieder zu geben. Die meisten werden kaum eine Entschädigung bekommen, weil in Pakistan kaum jemand versichert ist. Dann geht es darum, das Trauma der Menschen zu behandeln.

Standard: Gibt es Chancen, nach dem Wiederaufbau eine weitere Katastrophe zu verhindern?

Suleri: Pakistan hat viele Katastrophen im vergangenen Jahrzehnt erlebt, ich bin nicht sicher, ob unsere Politiker mit der Katastrophe und den Folgen umgehen können. Es werden auch in naher Zukunft keine kleinen Dämme gebaut werden, die bestehenden werden nicht erhöht werden. Die Regierung kann die Leute auch nicht daran hindern, sich in Überschwemmungsland anzusiedeln. Wenn der Fluss trocken ist, kommen die Menschen wieder und lassen sich dort nieder, weil sie sonst kein Land haben. Auch die Rodungen werden nicht gestoppt werden. Es gibt viele, große Herausforderungen, und die meisten sind verbunden mit der Regierung. (Tobias Müller/DER STANDARD, Printausgabe, 11. August 2010)