Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer hat in einem Gastkommentar dieser Zeitung die Behauptung aufgestellt, die russischen Gaslieferungen nach Europa dienten politischen und nicht wirtschaftlichen Zielen. Laut Fischer versucht Russland, seine Rolle auf dem europäischen Energiemarkt auszubauen um den Kontinent von russischen Gaslieferungen abhängig zu machen.

Die Ukraine-Transitkrise vom Januar 2009 führt er als Beispiel dafür an, "welcher Preis für eine verstärkte Abhängigkeit (vom russischen Gas) zu entrichten wäre" . Des Weiteren verfolgt Herr Fischer die These, Gasproms Pipeline-Projekt South Stream sei gezielt darauf ausgerichtet, politischen Druck auf die Ukraine auszuüben und Europa daran zu hindern, die Nabucco-Pipeline zu bauen. Es würde gestoppt, würde Europa mehr Solidarität gegenüber der Ukraine und mehr Vertrauen in Nabucco zeigen.

Diese Darstellung von Herrn Fischer dürfte gut bei den Kalten Kriegern von gestern ankommen, von der Wahrheit ist sie aber weit entfernt. Wichtiger noch, Fischer hat keinerlei Rezept, wie Russland und Europa denn ihre zukünftigen Beziehungen auf dem Gebiet der Energie gestalten sollten. In den vergangen Jahrzehnten haben sowohl russische als auch europäische Unternehmen sowie europäische Kunden aller Größenordnungen von der Zusammenarbeit im Energiebereich profitiert; beide Seiten haben ein Interesse, diese Erfolgsgeschichte fortzusetzen.

Stellen wir also die Fakten klar: Gasprom ist ein wichtiger Lieferant von Erdgas für den europäischen Markt, aber bei weitem nicht der einzige. Russische Gaslieferungen machten 2009 rund 25 Prozent der in Europa verfügbaren Gasmengen aus. Dieser Prozentsatz wird sich mit großer Sicherheit erhöhen, da Europa wegen der steigenden Nachfrage und fallenden Eigenförderung zunehmend auf Gasimporte angewiesen ist. Russland ist jedoch weit davon entfernt, den europäischen Gasmarkt zu dominieren. Auch langfristig werden über zwei Drittel des in Europa verbrauchten Gases aus anderen Quellen stammen - es ist also keine einseitige Abhängigkeit zu sehen.

Wachsende Nachfrage

Zudem ist Europa Gasproms wichtigster Absatzmarkt: Den Großteil unserer Gewinne machen wir mit Exporten nach Europa. Während Europa etwa 25 Prozent seines Gasverbrauchs aus russischen Lieferungen deckt, sind unsere europäischen Kunden für 70 Prozent der Einnahmen Gasproms verantwortlich. Deswegen ist es für uns sehr bedeutsam, wie wir die Sicherheit unserer Gaslieferungen nach Europa erhöhen können. Die Transitkrise mit der Ukraine im Jahr 2009 war ein Weckruf für uns alle.

Heute stehen Gasproms Beziehungen mit der Ukraine auf einem besseren Fuß. Wir sehen uns aber weiterhin der Strategie verpflichtet, unsere Transitrouten nach Europa zu diversifizieren. Wir können nicht alles auf eine Karte setzen, so wie wir es in der Vergangenheit mit der Ukraine gemacht haben. Nord Stream wird die Transitrisiken nach Europa erheblich reduzieren, und South Stream wird die Energiesicherheit Europas weiter ausbauen.

South Stream stellt für die Ukraine keine Bedrohung dar. Die neue Pipeline wird das ukrainische Leitungssystem entlasten. Außerdem wird South Stream zusätzliche Volumen an Erdgas nach Europa transportieren. Herr Fischer liegt also falsch, wenn er die South-Stream- und Nabucco-Gasleitungen als wechselseitig exklusive Alternativen beschreibt. Europa wird sehr viel größere Leitungskapazitäten benötigen, um seine wachsende Nachfrage nach Gas befriedigen zu können. Schätzungen zufolge wird der Importbedarf an Erdgas der EU-Länder bis zum Jahre 2030 auf wenigstens 250 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen.

Beide Projekte des sogenannten südlichen Korridors werden umweltfreundliches Erdgas transportieren und somit dem Ziel des Abbaus von CO2-Emissionen dienen. Darüber sollte sich auch Joschka Fischer als einer der bekanntesten Befürworter einer "grünen" Politik freuen. (Alexander Medwedew, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.8.2010)