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Anna Netrebko als Salzburger Juliette: der Glücksfall einer quirligen Sängerdarstellerin, die auch die harmloseste Inszenierung mit Leben erfüllt

Foto: APA / Andreas Schaad

Salzburg - Am hysterischen Höhepunkt des Traumpaar-Kitschs (Anna Netrebko und Rolando Villazón), der mit jener Traviata der Salzburg-Ära Peter Ruzickas seine künstlerisch wertvollste Ausformung fand, ging es wohl nur noch um die Frage, mit welchem Opus man beide Branchenstars abermals zusammen nach Salzburg locken könnte. Man verfiel auf die tragischste aller Liebesgeschichten; von da an ging es allerdings bergab, kam ein bisschen was an Ereignissen dazwischen.

Zwar konnte Villazón nach einer ersten Stimmkrise doch noch bei der auserkorenen Oper von Charles Gounod, Roméo et Juliette, nicht nur vokal passabel mitfechten. Anna Netrebko hingegen war guter Hoffnung und sagte ab. Um den Hype nicht abebben zu lassen (der ORF hatte sich zur Übertragung angesagt), baute man schließlich schnell die Georgierin Nino Machaidze als Netrebko-Klon auf, was diese mit einer sehr ansprechenden Leistung dann auch ohne gröbere Blessuren überstand.

Zwei Jahre später und eine neuerliche Stimmkrise weiter ist nun jedoch Villazón bei der Wiederaufnahme des harmlosen Kostümschinkens nicht mehr zugegen (er gibt am Sonntag in Salzburg nur einen Liederabend). Immerhin aber holt Netrebko ihre Auftritte nach, indem sie von den neun Aufführungen fünf absolviert (Machaidize singt am 18., 24., 27. und 30. August).

Casanova-Kulisse

Der Inszenierungsrahmen in der Felsenreitschule könnte für sie nicht angenehmer sein: Broadway-Regisseur Barlett Sher hat auf eine Ästhetik zwischen Fellinis groteskem Casanova-Streifen und Fluch der Karibik gesetzt und füllt den großen Raum mit einer Menge skurril kostümierter und entsprechend dick geschminkter Figuren, von denen er ausgiebig Laufarbeit einfordert. Sogar der Zuschauerraum wird ins Spiel gebracht, es muss etwa Page Stephano (sehr engagiert Cora Burggraaf) am Geländer zwischen den Zuschauern singend mit dem Degen fuchteln. Und es müssen auch die Montaigus bisweilen ihre Gehässigkeiten über den Orchestergraben in Richtung Bühne brüllen, wo die Capulets mit giftigstem Lächeln antworten.

Der Raum ist also mit Mantel-und-Degen-Ästhetik üppig ausgestattet. Und doch: Es ist hier auch ein Ambiente entstanden, das in intimen Momenten den Fokus auf das liebestolle Pärchen legt.

Netrebko kann man allerdings hinstellen, wo man will. Sie ist der Glücksfall einer quirligen Sängerdarstellerin, die auch die harmloseste Inszenierung mit Leben erfüllt. Ob sie nun das einer Vernunftehe abgeneigte Mädchen geben soll, oder eine liebestrunkene Tragödin - es entsteht elegantes, facettenreiches Musiktheater, getragen von vokaler Souveränität.

Mag die Stimme einen Hauch schwerer geworden sein, es bleibt der Eindruck einer besonders bei hohen Tönen aufblühenden samtigen Fülle, die sich bei Szenenbedarf zierlich tarnt. Als Roméo hier nicht erdrückt zu werden, dazu bedarf es schon entsprechender Fähigkeiten. Und siehe da: Piotr Beczala verfügt über solche; sein Tenor hat tragfähigen Klang, viel Power und Sicherheit.

Und so schaukeln sich zwei Könner gegenseitig hoch - nicht auszudenken, welche Plateaus der theatralen Romantik sie erklommen hätten, wären Beczala als Roméo mehr als nur galante Routineposen zur Verfügung gestanden. Man konnte Villazón vermissen.

Eine konventionelle, aber runde Sache: Um das Liebestodpärchen agiert ein solides Ensemble, wobei man Mikhail Petrenko (als Pater Laurent) hervorheben möchte. Und Dirigent Yanick Nezet-Seguin machte dort weiter, wo er bei der Premiere mit sehr guter Leistung aufgehört hatte. Er animierte das Mozarteum-Orchester Salzburg zu deutlichen Stellungnahmen, was bei dieser ins Glatte neigenden Musik eine gehörige Substanzaufwertung bewirkte. Größter Applaus, welch Überraschung. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.8.2010)