International ist Österreich plötzlich wieder interessant: als Land der Skandale. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet über den Verdacht der Untreue gegen Karl-Heinz Grasser mit der Überschrift: "Schöner Mann mit Angriffsfläche" , die Süddeutsche Zeitung schreibt über das "Schlaraffenland Österreich" , in dem es nur "kabarettistisch anmutende Regeln" gibt, wie mit Parteispenden umzugehen ist. TV-Kollegen bitten um Einschätzung, ob Österreich wirklich eine Bananenrepublik sei und nun bestätigt sei, dass in Wien der Balkan beginne.

Fragen, warum die Justiz in Österreich Politiker mit Glacéhandschuhen anfasse, lassen sich mit Blick auf das Weisungsrecht beantworten: In Österreich muss ein Staatsanwalt in brisanten Fällen dem Ministerium berichten, was er vorhat. Die Ministerin oder der Minister muss dann den Vorhabensbericht genehmigen. In Deutschland muss kein Staatsanwalt mit seinem Vorhabensbericht im Ministerium vorstellig werden, bevor er mit seiner Arbeit weitermacht. In Italien lässt zwar Ministerpräsident Silvio Berlusconi nichts unversucht, Ermittlungen per Gesetz vor allem gegen seine Person einzuschränken. Aber alle paar Monate tauchen Meldungen auf, dass ein Staatsanwalt ein Verfahren gegen diesen oder jenen Politiker vorantreibt.

Derzeit fällt es schon schwer, noch den Überblick über die Vielzahl aufgepoppter Skandale und Anzeigen in Österreich zu bewahren. Am Freitag hieß es, die Ermittlungen gegen Karl-Heinz Grasser wurden eingestellt. In welcher Sache? Ah, Meinl. Ist da nicht auch noch etwas in Sachen Buwog? Oder die Causa Hypo Alpe Adria. Ex-Hypo-Chef Wolfgang Kulterer wurde festgenommen wegen Unterlagen in Liechtenstein. Liechtenstein? Hat das etwas mit Jörg Haiders Konten dort zu tun? Nur noch Spezialisten haben den Durchblick.

Mit der Causa Hypo Niederösterreich, bei der es enge Verbindungen zur Landespolitik gibt, braucht man sich vielleicht gar nicht näher zu beschäftigen, denn die Staatsanwaltschaft hat im Juli Kriminalisten eine Weisung zur vorläufigen Einstellung der Ermittlungen erteilt. Ob die Ermittlungen fortgeführt werden, muss nun die Justizministerin Claudia Bandion-Ortner entscheiden.

Glaubt man ihr, ist all das ohnehin nur die Spitze eines Eisbergs: Im 2+1-Standard-Sommergespräch gab sie an, dass "pro Jahr rund 200" Vorhabensberichte über brisante Fälle im Ministerium landen und dort fünf Leute damit befasst sind. Das ist eine ganze Menge - und man erfährt sehr wenig.

In dem Gespräch schilderte der ehemalige Staatsanwalt Wolfgang Mekis dann auch, wie Fälle abgedreht werden: Formale Weisungen seien nicht notwendig, denn das Ministerium lasse unverhohlen durchblicken, was gewünscht sei. "Und wenn man nicht gehorcht hat, war man den Akt los." Wenn ihr Kabinettschef oder andere Mitarbeiter das erledigen, kann Bandion-Ortner in der Öffentlichkeit immer sagen, sie habe von nichts gewusst. Weil es der Wahrheit entspricht.

Dahinter steckt aber eine ganz andere Wahrheit: nämlich die, dass es in Österreich keine wirklich unabhängige Justiz gibt - den Verfassungsgerichtshof ausgenommen. Das heißt, in dieser Republik funktioniert die Gewaltenteilung nicht, weil es in diesem Land an einem Bewusstsein für Rechtsstaatlichkeit fehlt und die Parteipolitik glaubt, sich überall einmischen zu können. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.8.2010)