Bequem wird das schon: Nicht nur am Laptop, sondern mit jedem kleinen Navi mittels Google Street View das Objekt meiner Begehrlichkeit besichtigen zu können. Wie ist sie? Wie schaut sie aus? Von vorne und von hinten. Die verkäufliche Villa am Attersee oder am niederösterreichischen Schotterteich.

In Deutschland gibt es darüber eine heftige politisch-publizistische Debatte, Google hat in einigen großen Tageszeitungen einseitige Inserate geschaltet, mit Antworten auf fünf Fragen. Am Mittwoch will sich die Bundesregierung mit einer Gesetzesvorlage befassen, die vom Bundesrat ausgearbeitet wurde.

In Österreich rührt sich nichts - bis auf ein kurzes Aufmucken, ausgelöst von einem Oberösterreicher im heurigen Frühjahr, der nicht wollte, dass ein Google-Streetcar sein Haus fotografiert. Denn genau darum geht es unter anderem: dass die Privatsphäre massiv verletzt wird.

Google selbst hat sich in Inseraten nun bereiterklärt, Gesichter und Autokennzeichen automatisch zu verpixeln. Bürger können Widerspruch einlegen, wenn sie nicht wollen, dass ihr Haus abgebildet wird. Das hat Google mit dem Hamburger Datenschutz-Beauftragten vereinbart. Ob die Übereinkunft hält und ob das "Auslassen" eines Gebäudes nicht erst recht Aufmerksamkeit erregt, ist umstritten.

Deutsche Politiker jedenfalls hat bereits die Angst gepackt, sie wollen ihre gesamte Existenz verpixelt haben, obwohl das organisierte Verbrechen mit Sicherheit jetzt schon alle Grunddaten und Stiernacken kennt. In der Öffentlichkeit sind dieselben politischen Exponenten vorsichtiger: Man warne vor einer Anlass-Gesetzgebung, vielleicht sollte man besser das Datenschutz-Gesetz reformieren. Die Verbraucherschutz-Ministerin Ilse Aigner will abwarten, ob Google sich an die eigenen Zusicherungen halte.

Das Grundproblem indessen liegt tiefer. Längst hat ein Großteil der Bevölkerung die Privatsphäre an den Meistbietenden verkauft. Früher einmal haben Greißler aus dem Einkaufsvolumen und -verhalten ihrer Kunden mehr über deren Privatleben gewusst, als sie durch den Tratsch erfahren haben. Heute sammeln Großmärkte via Stammkunden-Karten so viele Daten, dass sie durch Vernetzungen sowohl Kaufverhalten als auch Lebensstile eruieren können.

Umfragen haben seit den 70er-Jahren zum "durchleuchteten Wähler" geführt, das Internet-Surfen hat die gegoogelten Bürger produziert, die im Amazon(as) der Datenwelt schwimmen und sich wundern, wenn sie einem Piranha zum Opfer fallen. Weshalb die mündige Bürgerin mehr denn je gefragt, der ausgesaugte Bürger aber die Regel ist - ganz abgesehen vom Talk-Striptease des Unterhaltungsfernsehens oder von Facebook, wo sich täglich Millionen ent- und veräußern.

Ob man dieser Entwicklung mit Gesetzen beikommt, ist sehr fraglich. Geschützt werden sollten wenigstens jene, die nicht mitmachen wollen. Und die der Staat mit dem Bürgerrecht ausstatten sollte, sich gegen Bevormundungen durch Freunde und Informationen wehren zu können. (Gerfried Sperl/DER STANDARD-Printausgabe, 16.8.2010)