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Das Resistenz-Gen NDM-1 kommt in Gram-negativen Bakterien wie etwa Escherichia coli vor.

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Wien - Wenn Evolution nicht in Jahrmillionen geschieht, sondern quasi im Zeitraffer abläuft, dann kann dies schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, wie das aktuelle Gen NDM-1 zeigt, das aus Enterobakterien superresistente Keime macht. Weltweit arbeiten Wissenschafter an der Entwicklung neuer Methoden, um das Problem der sogenannten multiresistenten Keime wieder in den Griff zu bekommen.

Dass klassische Antibiotika nach Jahrzehnten des Einsatzes langsam ihre Wirkung einbüßen, liegt schlicht an der Evolution der Bakterien. Die grundlegenden Mechanismen - Vielfalt und Auswahl - sind dabei die gleichen, die auch Tiere und Pflanzen sich entwickeln lassen. Erstens sind nicht alle Individuen einer Bakterienart gleich, sondern gegen ein bestimmtes Antibiotikum mehr oder weniger empfindlich. Durch den ständigen Einsatz der Mittel überleben hauptsächlich solche unempfindlicheren Typen und geben ihr Erbgut auch weiter. Letztendlich können solche Stämme entstehen, welche überhaupt nicht mehr auf das Mittel ansprechen.

Kurze Generationsfolgen und horizontaler Gentransfer

Die Gründe, warum sich Evolution in Bakterien in vergleichsweise kurzen Zeiträumen abspielt, sind vielfältig. Ein Hauptgrund sind die teils extrem kurzen Generationsfolgen der Bakterien. So können sich die Zellen bei entsprechend guten Bedingungen alle paar Stunden teilen. Viele Bakterienstämme verfügen aber auch über ein sehr variables Erbgut.

Im Gegensatz zu höheren Organismen, welche ihre Gene praktisch nur an die Nachkommen weitergeben können, ist bei Bakterien ein sogenannter horizontaler Gentransfer nachweisbar. Das heißt, dass ganze Gene oder Gruppen von Genen von einem Individuum zu einem anderen wandern können, beispielsweise auch eine Resistenz gegen ein bestimmtes Gift. Auch das beschleunigt die Evolution.

Lange war die Entwicklung der Antibiotika mehr oder weniger ein Spiel von Versuch und Irrtum. Verschiedenste in der Natur vorkommende Substanzen wurden auf ihre Tauglichkeit zur Bekämpfung von bakteriellen Erkrankungen getestet. Dabei bestand und besteht aber das Problem, dass gegen alle natürlichen oder von der Natur abgeschauten Substanzen irgendwo auch Resistenzgene existieren, erklärte die Wiener Molekularbiologin Renee Schroeder von den Max F. Perutz Laboratories (MFPL). Es ist daher absehbar, dass sich mit diesen Mitteln bekämpfte Bakterien irgendwann diese Gene einverleiben - Bakterien beherrschen diesen sogenannten horizontalen Gentransfer bestens.

Neue Wege abseits klassischer Antibiotika

Dank der modernen Genetik und Molekularbiologie, welche immer tiefer in die Vorgänge der Zelle vordringt, beschreiten Wissenschafter wie Schroeder völlig andere Wege abseits der klassischen Antibiotika. Bisher waren die Mittel nichts anderes als Bakteriengifte. Sie wirken, indem sie beispielsweise die Synthese von Proteinen in den bakteriellen Zellmaschinen verhindern.

Die Forscher um Schroeder verfolgen dagegen einen anderen Ansatz. "Bakterien müssen sich an den jeweiligen Lebensraum oder auch den Wirt anpassen, menschliches Blut ist verständlicherweise eine andere Umgebung als etwa Wasser", erklärte Schröder. Diese Anpassung bewerkstelligen die Organismen unter anderem über sogenannten nicht codierende RNA (kurze, mit der Erbsubstanz DNA verwandte Moleküle). Nicht codierende RNA wird dabei nicht in Genprodukte umgesetzt, sondern steuert vielmehr, welche Gene gerade abgelesen werden und welche nicht.

Wenn man diesen Vorgang einmal verstanden hat, kann man eingreifen. So könnte man einem Bakterium etwa den menschlichen Organismus vergällen, indem man die Anpassung verhindert. Wann die derzeitigen Grundlagenarbeiten an den MFPL im Rahmen eines EU-weiten COST-Projekts in Medikamente münden, sei derzeit allerdings noch nicht absehbar, räumte Schroeder ein.

Maßgeschneiderte Substanzen

Den Weg der vollständigen Synthese eines von der Natur abgeschauten Stoffes namens Kendomycin - ein Stoffwechselprodukt von Bakterien der Gattung Streptomyces - beschreiten Forscher um Johann Mulzer, Professor für Organische Chemie der Universität Wien. Durch die Synthese lässt sich der Stoff nicht nur herstellen, sondern auch für die jeweilige Anwendung maßschneidern.

In der Natur schützt Kendomycin Streptomyces etwa vor Konkurrenten. Wie sich bisher herausstellte wirkt Kendomycin nicht nur gegen Antibiotika-resistente Bakterien, sondern auch gegen Entzündungen oder Osteoporose. Durch gezielte Manipulationen der Molekülstruktur wollen die Wissenschafter die Substanz weiterentwickeln, die sich möglicherweise auch gegen Krebs einsetzen lässt. (red/APA)