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Der konservative Premier David Cameron (li) und sein Vize, der Liberaldemokrat Nick Clegg. Während die Tories in den Umfragen zulegten, sackten die Liberalen in der Wählergunst ab.

Foto: Reuters/Winning

Einstweilen punktet David Cameron mit demonstrativer Bescheidenheit bei den Wählern.

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Bisher sind es nur die Details, an denen sich Veränderung ablesen lässt. Als Tony Blair im Mai 1997 triumphal in die Downing Street eingezogen war, hallten die ehrwürdigen Regierungsgebäude alsbald wider von bombastischen Phrasen. Cool Britannia war angesagt. In jeder Disziplin sollte das Vereinigte Königreich "vorn" liegen, "großartig" und "führend" sein, und das ganz rasch.

Vergangene Woche hielt David Cameron eine Rede zur Lage der Tourismus-Branche im Land. Die trägt immerhin jährlich 115 Milliarden Pfund zum Bruttoinlands-Produkt bei, Tendenz steigend. Nun will der Premier die Attraktivität der Insel für ausländische Besucher in den nächsten Jahren steigern. Das Ziel? "Weltweit führend sein", hätte Blair gesagt. Großbritannien solle "zu den fünf wichtigsten Tourismus-Zielen weltweit" gehören, sagte Cameron. So etwas klingt in den Ohren der Briten, denen die Marketing-Fachleute stets nur Superlative um die Ohren schlagen, nach außergewöhnlicher Bescheidenheit.

Ganz bescheiden geht der Konservative mit gutem Beispiel voran: Von seiner hochschwangeren Frau Samantha und den beiden Kindern begleitet macht Cameron nun Urlaub in Cornwall, der englischen Riviera. Am Donnerstag kann der 43-Jährige dort ein Gläschen trinken auf die ersten 100 Tage seiner Regierung, die den Briten zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine Koalition beschert hat: Camerons Konservative regieren mit den Liberaldemokraten von Nick Clegg.

Sie demonstrieren Harmonie. Freilich hat die Koalition echte Bewährungsproben noch nicht erlebt. Ein freundlicher Umgangston ist wichtig, zumal er den Unterschied betont zu den Politikern von Labour. Deren schrille Tonart verrät den Zorn über die verlorene Macht und die Ratlosigkeit angesichts der wichtigsten Herausforderung britischer Politik: Wie sich des Rekorddefizits von mehr als zehn Prozent so rasch beikommen lässt, dass die Finanzmärkte die Insel weiterhin ernstnehmen.

Die Koalition hat sich zur Radikalkur entschlossen, die Mehrwertsteuer erhöht, aber vor allem massive Einsparungen im öffentlichen Haushalt angekündigt. Das haben die Briten bisher überwiegend zur Kenntnis genommen; frühestens im Herbst, wenn Konkretes bekannt wird, spätestens 2011, wenn die Grausamkeiten spürbar werden, wird sich zeigen, wie weit der Langmut reicht.

Die Zustimmungsrate der neuen Regierung ist im Index der Demoskopiefirma YouGov schon in den vergangenen Wochen kontinuierlich gesunken. Während Mitte Juni die Differenz zwischen Regierungsbefürwortern und -gegnern noch bei 15 Prozent lag, war der Wert vergangene Woche auf zwei Prozent geschrumpft. Paradoxerweise geben derzeit mehr Briten (gut 40 Prozent) an, Camerons Konservative wählen zu wollen als bei der Wahl im Mai (36). Dem kleinen Koalitionspartner (damals 22, heute rund 15 Prozent) hingegen laufen die Wähler davon. Clegg will mit Verfassungsänderungen punkten: Abkehr vom Mehrheitswahlrecht, Verkleinerung des Unterhauses, Wahlen zum Oberhaus - schwere Brocken im traditionsbewussten Königreich. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 17.8.2010)